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2. Sonntag der Passionszeit

 

Text: Markus 12, 1-12

Im Motiv bezuggenommener Text Vers.10-12:

Habt ihr auch nicht gelesen diese Schrift: "Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein geworden. Von dem HERRN ist das geschehen, und es ist wunderbarlich vor unseren Augen"? Und sie trachteten darnach, wie sie ihn griffen, und fürchteten sich doch vor dem Volk; denn sie verstanden, daß er auf sie dies Gleichnis geredet hatte. Und sie ließen ihn und gingen davon.
Mark 12, 10: Haven't you read this scripture: "The stone the builders rejected has become the capstone; 11the Lord has done this, and it is marvelous in our eyes?" 12Then they looked for a way to arrest him because they knew he had spoken the parable against them.
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20.12.2010: eigentlich sollte das Folgende "nur" ein paar Gedanken zum Thema dieses Evangelien-Motivs notieren - dem (bevorstehenden) aktuellen Anlass entsprechend wurde der Text im Endeffekt dann allerdings fast eine "Weihnachtspredigt":

 

Im "historischen" Kontext gesehen wird hier zunächst einmal eine rein politische Geschichte erzählt: neue Gedanken beginnen in einer Gesellschaft Fuß zu fassen und an Relevanz zu gewinnen. Dazu eine Metapher: "Ecksteine" tragen in der Architektur die gesamte Statik, ohne sie würde ein Gebäude zusammenfallen. Die Würdenträger und Machthaber wiederum ärgern sich über einen Redner auf dem Basar, der sie und das System, für das sie stehen, nach Ihrem Verständnis (und dem vieler Zuhörer) in Frage stellt, wagen es aber nicht, ihn in der Öffentlichkeit anzugreifen.

"Meine Ideen werden zwar vom Establishment als irrelevantes Geschwätz abgetan, sind aber von grundlegender Wichtigkeit". Eine dreiste Unverschämtheit. Von einem frechen Marktschreier, der das Volk aufwiegelt gegen die bestehende Ordnung von Religion und Staat. Eine in Jahrtausenden gewachsene Religion (Judentum) und ein gigantisches Weltreich (die römische Besatzungsmacht). Was ein in der Sache irrwitziger, politisch lästiger Schwätzer!

Wir wissen heute: der "Schwätzer" wurde hingerichtet, die bestehenden Verhältnisse dauerten noch lange über die Lebenszeit der Protagonisten hinaus. Und wir wissen, der Marktplatz-Redner hatte recht: das damalige System zerfiel wirklich, seine Ideen jedoch begründeten eine völlig neue "Weltordnung". Diesen Begriff hätte jener Jesus allerdings sofort abgelehnt: "Mein Reich ist nicht von dieser Welt". Jeder Physiker/ Mathematiker/ Philosoph der über eine grundlegende Theorie nachdenkt, würde dem umgehend zustimmen: keine grundlegende Idee ist "von dieser Welt". Sonst wäre Newtons epochale Entdeckung über das Wesen der Schwerkraft (s.u.) nie über den Gedanken an verschiedene Apfelsorten hinaus gekommen.

Um was geht es also? "Moderne" Ideen passen sich selten nahtlos in Bestehendes ein. Sie sind oft "schnörkellos" und führen den Ballast alter Systeme ad Absurdum. Neue Ideen, wenn sie keine "haltlosen" Hirngespinste sind, legen an bestehende und neue Inhalte ein "Lot" an, das sich (wieder?) an Grundlagen der Logik und Folgerichtigkeit orientiert. Die Lehren jenes "Jesus von Nazareth" hatten zu ihrer Zeit eine ähnliche Funktion, wie die Lehren der Aufklärung zweitausend Jahre später. Zweitausend Jahre? Auch die Entwicklungen um die Lehre Jesu kündigten sich ja bereits viele Jahre zuvor an – Jesus beruft sich in seinen Reden immer wieder darauf. Die Zeit der "Aufklärung" begann ebenfalls einige Jahrhunderte vor unserer Gegenwart, ihre Wirkung erzielt sie jedoch erst heute auf breiter Ebene – mit allen positiven und negativen Begleiterscheinungen (je nach Sichtweise...): breite Wissensvermittlung, gesellschaftliche Teilhabe an politischen Entwicklungen etc..

Es wird dabei nicht von ungefähr vom "Baustein" gesprochen, also von etwas, das sich in Bezug auf ein bestehendes Gebäude einfügt, ja, dieses letztendlich stützt. Ein konstruktiver Gedanke, der jeder Idee destruktiver Revolution und wilder Provokation zuwider läuft. Dafür stehen Winkel und Lot in der Abbildung:

Die Darstellung des Lots im Bild weist darauf hin, dass dieser "Eckstein" starke reale Bezüge hat: das Lot "funktioniert" nach den physikalischen Gesetzen der alles bedingenden Schwerkraft - als philosophisches Pendant könnte man die Gesetze der Logik anführen. Die heute weltweit verbreitete Glaubensgemeinschaft der (Evangelischen) Methodisten, ein "Kind" der Aufklärung im 18. Jahrhundert, erhielt ihren Namen nach den "Methodikern", die sie begründeten: methodisches Studium der Quellen als Ausgangspunkt einer pragmatisch orientierten Religionsform (die Grundlagen sozialer Versorgungssysteme, wie wir sie heute kennen, wurden zum Beispiel von englischen Methodisten entworfen und etabliert).

"Der Stein den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden". Wir leben in einer Welt, die in allen Bereichen von "fraktalen", vielschichtigen Entwicklungen beeinflusst und geformt wird. Mit vielen "Ecksteinen". Einen der wichtigsten und grundlegenden Ausgangspunkte dieser Entwicklung feiern wir am 24. Dezember mit der Geburt Jesu Christi. Wenn wir die Entwicklung der menschlichen Geistesgeschichte und unserer Gesellschaft betrachten, sind die Auswirkungen der Lehren Jesu, trotz aller menschlichen Irrwege, ein Grund, diesen Tag immer wieder neu zu feiern, ein Grund, zur tradierten "Sonnwende" symbolische Lichter anzuzünden - als Metapher für ein Licht, das unsere gesamte Existenz bis heute nachhaltig erleuchtet.

Und wo bleibt das Mystische der "Heiligen Nacht"? Viele christliche Religionsgemeinschaften haben im Lauf der Zeit durch falsch verstandene Liberalisierung ihren Pfarrern bei der Interpretation dessen, was die Mystik ihrer Religionsinhalte denn nun ausmache, "ad libidum" Tür und Tor geöffnet (die Strafe dafür manifestiert sich in so mancher kitschigen "Liebes Jesulein - Predigt" allsonntäglich). Ein theologischer Thriller, der schon vor langer Zeit begann und bewirkt, dass die Qualität vieler Weihnachtspredigten heute auf ein Niveau gesunken ist, das die "ZEIT" 2007 nur noch mit dem Artikel "Schluss mit dem Geschwätz" zu "würdigen" wusste. Die Auswirkungen dieses "Thrillers" und die daraus resultierenden Defizite reichen heute weit in das Menschenbild und Selbstverständnis unserer Gesellschaft hinein. Zweifellos gibt es des ungeachtet ein Mysterium, dessen Wesen so "ewig" ist wie das Leben, die Welt und das ganze Universum - und es hat wie alle Mysterien mit einem Geheimnis zu tun. Das eröffnet sich vielleicht nicht als "Instant Karma" jedem Besucher eines Weihnachtsgottesdienstes. Aber den, der dieses Geheimnis ahnt, fühlt oder gar kennt, den wird es (nicht nur) in einer Andacht zum Heiligen Abend erreichen. Daran kann nicht einmal eine "dünne" Predigt etwas ändern...

 

copyright: Thomas Weisenberger 2010