zurück zur Titelseite "Evangelien"

Kein Grund – aber ein paar Hintergründe

Wer sich ein Bild oder was auch immer an die Wand hängt, hat einen Bezug dazu, "glaubt" im weiteren oder ganz direkten Sinn daran – ob das nun die Form, den Inhalt oder, wie meistens, eine "Gemengelage" aus verschiedenen Faktoren betrifft. Das gilt natürlich auch für den Produzenten dessen, was da gehängt wird. Um so mehr, wenn es in Variationen eine mehr oder weniger "typische" Entwicklung (s)einer Generation widerspiegelt.

"Der Gott der kleinen Dinge"

Aquarell Mischtechnik 1995

"Der Apfel fällt nicht weit vom Baum"

könnte man mit dem bekannten Sprichwort konstatieren, wenn man die aktuelle Bilderserie "Evangelien" vor den Hintergrund meiner frühen Biographie stellt: Mein Vater war, wiewohl aus einem streng katholischen Elternhaus stammend, Pastor der Evangelisch-Methodistischen Kirche und mein Bruder ist das noch heute. Fast "natürlich" engagierte auch ich mich in meiner Jugend im kirchlichen Bereich.

Der Apfel fällt nicht weit vom Baum – außer es gibt Wind:

Als ich 15 Jahre alt war, starb mein Vater und ich wechselte in ein Internat. Mein Engagement im kirchlichen Bereich endete hier fürs Erste und andere geistige Strömungen beeinflussten mein Denken. Damals der "neoprotestantische" Existentialismus, u.a. in den Formulierungen Jean-Paul Sartres: für einen Teenager ein nicht unattraktives Kontrastprogramm zu dem eher konservativ religiös geprägten Weltbild meines Elternhauses.
 Auch wenn es mit diesem nie zu irgendeinem bewusst erlebten Bruch kam – ich setzte mich nun interessiert mit mir bis dahin noch weniger bekannten geistigen Strömungen auseinander. Schopenhauer und Nietzsche passten damals ganz gut zu den angesagten Popsongs etwas anspruchsvollerer Gruppen, die die menschliche Existenz zuweilen als "dust in the wind" beschrieben, was in manchen Sichtweisen noch nicht einmal allzu sehr mit der christlichen Lehre ("... zu Staub sollt ihr werden...") zu kollidieren schien.
Mit der Zeit erschienen mir mancherlei existentialistische Denkmuster jedoch für meine persönliche Metaphysik in ein allzu schwarzes Loch zu münden und auch die häufig damit verbundene "linke" Ideologie konvenierte nicht unbedingt mit meinem eher freiheitlich individuellen Denken, da gerade sie interessanter Weise vielen existentialistischen Grundthesen zuwider handelte (noch auf der "Documenta X" unter dem Motto "Polietics" überkamen mich Beklemmungsgefühle, als mir in einer der vielen öffentlichen Diskussionen ein Philosophieprofessor bei einem kleinen verbalen Scharmützel nachgerade das individuelle Denken als politisch unkorrekt verbieten wollte – da liegt mir der "Ausgang" Immanuel Kants doch entschieden näher). Als dann noch von führenden "Maitres Penseurs" dieser Ausrichtung das "Ende der Metaphysik" ausgerufen wurde, war meine Begeisterung für eine (Denk-)Welt "nach dem Tode Gottes" definitiv erschöpft – ich wollte ganz gerne noch eine Weile als "Mensch" leben ohne auch noch die offen werdende Position Gottes einnehmen zu müssen. Eine gewisse Frau Sölle in Deutschland war in dieser Hinsicht auch ganz wacker, was mich noch etwas mehr von kirchlichen Gefilden entfernte.

Während meiner künstlerischen Ausbildung Ende der 70er Jahre hatte ich das Glück, unter anderem über zwei Jahre lang als "Meisterschüler" bei einem japanischen Künstler lernen zu können. Dieser hatte eine Zeit lang in einem buddhistischen Kloster gelebt und brachte mir unter anderem die Philosophie des "ZEN" näher. Ich entdeckte (wohl nicht von ungefähr) Parallelen zu abendländischen Mystikern wie "Meister Eckhard". Vielleicht hat auch das dazu beigetragen, mich dann doch wieder der abendländischen Religiosität etwas anzunähern:

In den 80er Jahren war ich gerne hin und wieder zu Gast in katholischen Klöstern und stand in regem Austausch mit einem etwas jüngeren angehenden Priester, der seinen Weihen entgegensah; ich erhielt sogar die Ehre, bei einem Jubiläum "seiner" akademischen Verbindung einen Vortrag zu halten. Das Thema dieses Vortrags wies bereits auf eine neue Richtung hin, die mein Denken damals nahm: "Denken und Handeln in einer fraktalen Welt". Im weitesten Sinn entdeckte ich die kühle Eleganz aktueller mathematischen Entwicklungen und Erkenntnisse als einen Ansatz zur "Gottsuche" – und wer sich ein wenig mit den Ideen der Chaos- und jüngst der "String"- Theorie beschäftigt, ahnt, dass es wohl auch weiterhin genügend Dinge gibt, die sich in einer Sphäre "höher als alle menschliche Vernunft" bewegen, mit welchen Namen und Interpretationen der Mensch auch versuchen mag, sich diesen Umstand zu vergegenwärtigen.

Wenn ein Mensch in die vierziger Jahre seines Lebens kommt, könnte ihm bewusst werden, dass die Halbzeit seiner Lebensspanne erreicht wenn nicht bereits überschritten ist. Gleichzeitig sind genügend Lebensjahrzehnte vergangen, um im Rückblick darauf ein paar Resümees und gewisse Erkenntnisse daraus zu ziehen. Ein Resümee meiner "Vierziger" war, dass ich vom Glauben an viele "Dogmen" und "Glaubenslehren" abfiel. Das hatte nicht unbedingt etwas mit "Religion" zu tun, wie sie allgemein begriffen wird. Die Menschen, oft gerade die, die sich im landläufigen Sinn als "ungläubig" bezeichnen würden, glauben zuweilen viel mehr, als sie sich selbst und anderen gegenüber bereit sind einzugestehen. Verschiedenste "Glaubenslehren" sprießen allerorten, angefangen beim Glauben an politisch und anderweitig motivierte Ideologien, materialistisch geprägte Grundüberzeugungen (deren jüngste ja im Augenblick (Januar 2009) mit großem Getöse kollabieren), Glücksverheißungen jeder Art von Konsum oder gesellschaftliche Konventionen, Eitelkeiten und Opportunismen bis hin zur naiven Hoffnung auf andere Lebensformen im All und Verschwörungstheorien jeder Couleur – oft in der Essenz völlig haltlose aber trotzdem als momentan zufriedenstellend oder zumindest nützlich und/oder bequem empfundene Thesen, die doch am nächsten Baum einer Allee von Realitäten und Lebens-Notwendigkeiten zerschellen wie ein aufgemotzter Golf - nach meiner Überzeugung ganz sicher aber nicht geeignet sind, einen auch nur halbwegs geglückten Lebensentwurf zu "tragen".

Gleichzeitig stellte ich im Rückblick fest, dass bei vielen meiner eigenen Entscheidungen  ein(!) wichtiges Element (zumeist natürlich mit gewissen Modifizierungen) die grundsätzlichen Lehren meiner "Eltern-Religion" gewesen waren. Oft ohne mir dessen dezidiert bewusst zu sein, hatten sie mein Handeln und meine Überlegungen mit beeinflusst. Wo dies geschehen war, war oft ein Entwurf geglückt, wo ich wissentlich oder unbewusst anders gehandelt hatte, war mancher Irrtum und manches Scheitern zu beklagen.

Mit dieser Erkenntnis wandte ich mich, zwar mit relativierender Gelassenheit, aber durchaus positiver Intension, wieder der christlichen Religion zu. Nicht zuletzt, nachdem ich in einer evangelischen Kirchenmusikerin "die Frau meines weiteren Lebens" gefunden hatte. Mittlerweile habe ich allerdings die Grenzen dieser nach meinem Empfinden oft recht oberflächlichen und in verkrampftem Reformismus bemühten Konfession ein wenig kennen gelernt.  Es wird mich allerdings und andererseits auch sicher niemand überreden können, die Schöpfungsgeschichte buchstabengetreu zu "glauben" (vor allem da sie als Metapher viel spannender und letztlich weitreichender in ihrer Bedeutung ist). Auch zu manch anderen religiösen Themen behalte ich mir durchaus das Recht auf eine eigene metaphorische und interpretierende Einstellung vor und fühle mich in aller Zugewandtheit "zur Freiheit berufen". Daher mischt sich in meine Überzeugungen eher ein wenig von Lessings "Nathan", Professor Küngs "Weltethos", gewürzt mit einer Prise "Chaostheorie" an einer Farce von kybernetischen Axiomen. Buddhistische Gelassenheit korrespondiert mit der Strenge abendländischer Mystiker und existentielle Skepsis hat sich an der Logik Spinozas und der Klugheit Gracians zu messen.

Aber auch individuell geprägte Wege lebendiger Nachdenklichkeit treffen sich immer wieder in wunderbarer Harmonie mit "der Gemeinschaft der Heiligen" in so schönen und gültigen Aussagen wie dem 1. Korintherbrief Kapitel 13, Vers 13:

Nun aber bleibt Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.