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Logbuch 07. Mai 2005

 

Monemvasia

Bild rechts: Der Starkwind, der uns grade noch hier aufhält, auf der Wetterkarte: Man sieht den Wirbel des Sturmtiefs, das vom Ionischen Meer ostwärts um die Kaps von Nordwest kommend nach Nordost pfeift. Unsere Position: Roter Pfeil.
 

Ein paar Tage Segelpause in Monemvasia, um zwei Starkwindtage abzufeiern. Nachdem wir ein so angenehmes „Wetterfenster“ für die gelassene Fahrt um die Kaps hatten, und kein ungeplanter Aufenthalt wegen schlechten Wetters notwendig wurde, können wir uns Zeit lassen: Erst am 16. Mai müssen wir in Porto Cheli am Festland, ca. 40 Seemeilen entfernt, sein, um Elisabeths Freundin Jutta und ihre Tochter abzuholen. Die beiden wollen dann zehn Tage lang mit uns reisen und wir haben beschlossen, dafür die Route über die Inseln Hydra, Poros und Aigina zu reservieren mit einigen Zwischenstopps im uns ja vom letzten Jahr her wohlbekannten Saronischen Golf. Nach der Abreise der Beiden geht´s dann „definitiv“ in die Ägäis.

Der Aufenthalt bietet uns auch Zeit und Ruhe, um unsere aus Deutschland mitgebrachte Erkältung vollends zu kurieren und uns von der Hektik vor unserem Aufbruch zu erholen. Schon während der letzten Segeltage blieb wieder viel Zeit für lange ruhige Blicke über´s Meer und dem was sich anbietet, wenn es segeltechnisch grade mal nichts zu erledigen gibt und man die Seele nicht ziellos baumeln lässt: Ruhiges, konzentriertes Nachdenken.

  Über Ästhetik zum Beispiel. Klingt in manchen Ohren vielleicht im ersten Moment anstrengend, hat aber sehr angenehme und praktische Resultate, welche die Lebensqualität ganz entschieden heben können. Ich meine nun nicht eben die abstrakte Ästhetik, die ich vor vielen Jahren in der „Kinderzeit des Internet“ mit einem Mathematiker aus Südkorea angeregt diskutierte (Ästhetik der Logik und Systeme - es entstand daraus seinerzeit sogar ein Bild ("Harmony"), das Kims begeisterte Zustimmung fand...).  Es geht mir auch nicht um die geschmackvolle Ausgestaltung eines Schlafzimmers. Zwischen beidem gibt es eine Ästhetik des Lebens als bewusste „Tätigkeit“ und der Art und Weise wie man diese Tätigkeit „gestaltet“. Ich muss dabei gestehen, dass ich in dieser Disziplin nicht immer so erfolgreich war, wie ich es mir gewünscht hätte (müsste ich sonst noch darüber nachdenken?), aber es war doch immer mein Wunsch, meinem Leben, wo immer mir eine eigene Einflussnahme möglich war, in den Grenzen meines bescheidenen Vermögens einen eigenen Glanz oder Schwung zu geben, wie das wohl jeder Mensch in seinem persönlichen „Streben nach Glück“ mehr oder weniger bewusst versucht.

Beim Nachdenken darüber fällt mir immer stärker auf, dass in den Fällen, in denen ich auf meine Weise einen Erfolg in dieser Disziplin verbuchen konnte, die Etablierung eines Teilinstrumentariums aus dem reichen Katalog der Tugenden eine entscheidende Rolle gespielt hat. Höflichkeit, Treue, Mut, Mäßigung, Demut, Dankbarkeit, Toleranz, Einfachheit, Aufrichtigkeit, Humor und wie sie alle heißen: Nicht immer wo es erforderlich gewesen wäre, praktiziert und wenn doch, nicht immer souverän und erfolgreich. Und doch erhält durch die praktizierten Tugenden das Leben einen Glanz, der durch nichts zu ersetzen ist. Gemeint ist nicht ein Glanz nach außen, sondern ein Gefühl, vergleichbar vielleicht mit dem Wohlbehagen, wenn man etwas ganz um seiner selbst und dem eigenen Gusto willen tut: ein Zimmer neu gestalten, oder ein neues Bild aufhängen, oder nur aus purer Freude am Kochen ein exotisches Gericht kreieren (das im besten Fall sogar gelingt....). Das geht sehr leicht an die Grenzen „tätiger Meditation“ und erfüllt die Seele mit einem ganz eigenen Wohlgefühl.

Ähnlich die bewusste Praktizierung der Tugenden: ein „Möblieren“ des eigenen Lebensstils mit einer Ästhetik des Wollens und Handelns. Ohne Schielen auf irgendeine „Außenwirkung“, nur um dem eigenen Bedürfnis nach Harmonie und Wohlklang zu entsprechen. Alles andere (leider so oft praktizierte) ist sträflicher Missbrauch von Erkenntnissen der Weisheit und führt zu „geistigem Verdruss“. In unserer Umgebung und letztendlich auch bei uns selbst.

Ein wesentlicher Vorteil der Tugenden liegt für mich darin, dass man sie, obwohl sie doch so vielseitig anwendbar sind, überall hin mitnehmen kann. Im ersten Augenblick vielleicht ein überraschender Aspekt, den ich wohl illustrieren muss: Wenn ich Sport treiben will, brauche ich Platz und entsprechendes Gerät, sogar wenn ich lesen will, brauche ich immer noch ein Buch. Um mich in den Tugenden zu üben (und ich meine das wirklich als bewusste, konzentrierte Betätigung) brauche ich nichts Dezidiertes. Sie lassen sich überall anwenden, über ihre Anwendung und Vervollkommnung (die ja nie eintreten kann und daher ein unerschöpfliches Thema ist) kann an jedem Ort nachgedacht werden.
Ist es nicht viel befriedigender und einfacher, die Gestaltung des eigenen Lebens mit einer eleganten Garderobe, einer erfolgreichen beruflichen Karriere und einem repräsentativen Wagen zu besorgen? Das alles kann recht angenehm sein, wird jedoch nie ganz "zu uns" gehören und ist daher stets verschiedensten Faktoren der "Entfremdung" unterworfen. Die Kleidung kommt aus der Mode, das Auto geht kaputt, die Karriere kann in kürzester Zeit in Grund und Boden gemobbt werden. Die elegante Ausübung einer geschulten Tugend aber wird mit der Zeit immer besser, sicherer in der Handhabung und daher erfreulicher. Sie hebt Gefühl und Seele und kann nur durch die Unachtsamkeit der eigenen Eitelkeit beschädigt werden.

Gut geübte Tugend ist eine Kunstform. Eine Freude am Stil des eigenen Ausdrucks. Unsere Zeit ist so leichtherzig bereit, Tugenden und Werte abzuschaffen, um ihnen nicht mehr verpflichtet zu sein und übersieht die dadurch entstehende Öde und Glanzlosigkeit der so beraubten Existenz. Selbst in der nüchternen Zweckmäßigkeit noch geschlagen von einem Ostberliner Plattenbau.

  Die Vergnügen der Tugend dagegen: in meiner Großherzigkeit mich selbst achten lernen, in der Mäßigung mich zu pflegen, in der Höflichkeit gute Beziehungen zu gewinnen, in Treue geistige Heimat zu schaffen, mit Klugheit meinem Handeln Sinn zu geben, mit Mut Dinge Wirklichkeit werden zu lassen, in Gerechtigkeit wohltuende Verhältnismäßigkeiten schaffen - um nur stichwortartig einige Beispiele zu nennen.

Die christliche Lehre empfiehlt uns das Gebot der Universellen Liebe. Und weiß doch um unser Unvermögen, diese wahrhaft zu praktizieren, weshalb wir immer wieder auch ihrer Tröstungen bedürfen. Vielleicht nicht die schlechteste Überlegung, uns die Tugenden als wahrhaft wünschenswerten Bestandteil unseres Lebens begehrenswert zu machen: sie sind barmherziger. Sie sind das täglich und stündlich Mögliche des universellen religiösen Anspruchs. Sie sind nicht das Paradies, aus dem wir schuldhaft vertrieben sind und nicht der Himmel, der weiland nur als pompöses Versprechen existiert. Tugenden drücken nicht nieder und erpressen mit keinen Versprechungen. Sie sind wie die Freude, wenn wir etwas Schönes erschaffen. Erhebend und beglückend, im besten Falle zwar im fortdauernden Werden, doch ohne Abschluss.

Ich habe beschlossen, dass ein Teil meines persönlichen Segelsommers den Tugenden gehören soll, beziehungsweise dem Nachdenken über sie – natürlich auch ihrer Ausübung in den Grenzen meines Vermögens, aber darüber zu berichten wäre ja nun wieder nicht besonders tugendhaft.... ;-)  Der Philosoph André Comte-Sponville wird mir dabei mit seiner „Ermutigung zum unzeitgemäßen Leben“ die Stichworte liefern und einige Stichworte werden wohl auch in diesem Logbuch auftauchen, das ja auch ein Logbuch meiner „geistigen Fahrtensegelei“ ist. Und da ich mir ja inzwischen bewiesen habe, dass ich noch malen kann, entsteht vielleicht sogar das eine oder andere Bild daraus.