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Die Lebensader der Insel Psara: Eine Fähre mit höchst eigenwilligem Fahrplan.

 

Insel Psara, 28. Juni 2005

 

Dadurch, dass wir etwas vor Beginn des Meltemi hier ankamen, aber beschlossen haben, die Starkwinde, die in der Regel 6 Tage andauern, hier im sicheren Hafen zu verbringen, wird unser Aufenthalt auf der Insel wohl über eine Woche dauern, aber wir genießen es, hier zu sein. Es gibt hier zwar nur wenig Versorgung, keine Attraktionen im landläufigen Sinne, dafür aber viel Weite und Stille. Dazu der winzige Ort Psara, der angesichts der Wildheit der Insel, des permanent wehenden Windes und des aufgewühlten Meers ringsum wie ein kleines heimeliges Nest wirkt. Als wir ankamen, waren wir die einzige Yacht im Hafen. Inzwischen liegen am Kai 5 deutsche, 2 österreichische, 1 englische und eine griechische Fahrtenyacht. 3 Boote kamen noch bei gemäßigten Wetterbedingungen an, der Rest später: jeden Tag außer heute (bis jetzt - es ist erst 17 Uhr...) kam eine Yacht herein - mit einer ziemlich erschöpften und durchgeschüttelten Crew. Alle Yachten sind Eignerboote, alle Crews scheinen erfahren zu sein. Aber entweder, es handelt sich um Verächter einer Seewettervorhersage oder Menschen mit einer falschen Vorstellung von Heroismus: wie man mitten in einer Meltemi-Periode Törns von bis zu 65 Seemeilen quer über die Ägäis "durchziehen" kann, ist für uns nur schwer nachvollziehbar. Wenn solch eine Crew einläuft, haben auch die bereits Anwesenden gut zu tun: oft ist der Skipper nicht mehr im vollen Besitz seiner nervlichen und seemännischen Qualitäten. Das Anlegen bei heftigen ablandigen Windböen gerät da leicht zu einem weiteren ungewollten Abenteuer am Ende eines Tages, an dem "draußen" vielleicht ohnehin bereits das Limit der körperlichen und psychischen Kapazitäten fast erreicht oder gar überschritten wurde.

Oben Mitte: Das "Deutsche Eck" im Hafen von Psara. Links: Fast das Einzige, was auf der kargen Insel wächst, sind stachelige Hartlaubpflanzen, die alles überwuchern. Eine Ausnahme entdeckten wir im Garten eines Hauses mitten im Dorf: Canabis in einer Menge, mit der man dem ganzen Dorf einen mehrtägigen Trip verpassen könnte....

 

Bei unseren Streifzügen durch den kleinen Ort und in die Umgebung stoßen wir immer wieder auf Zeugnisse der kriegerischen Vergangenheit des Ortes bis hin zu Geschützbunkern aus dem Zweiten Weltkrieg. Die Bewohner des Ortes haben übrigens trotz der deutschen Besetzung im 2. Weltkrieg ein sehr freundliches Verhältnis zu unserem Land: Die Familie des bekannten deutschen Generals Canaris stammt von dieser Insel, einer seiner Vorfahren war der hier sehr verehrte Kapitän Canaris, der eine prominente Rolle bei den griechischen Befreiungskämpfen im 19. Jahrhundert spielte. Die Ironie, dass der eine Canaris für die Befreiung der Insel von der türkischen Besatzung kämpfte, während sein Urenkel das Eiland rund 120 Jahre später und nur etwas mehr als 25 Jahre, nachdem die Insel 1912 endlich "befreit" worden war, wieder unter Besatzung stellte, hat anscheinend nur zur Folge, das der jüngere Canaris eben kein Denkmal, der ältere dafür deren zwei erhielt. Ansonsten war die Landnahme durch Canaris den Jüngeren, glaubt man den Erzählungen der Einheimischen, eher ein Verwandtschaftsbesuch, anlässlich dessen der Feldherr vor allem eines begehrte: die Flagge der Insel seiner Vorfahren als Souvenir. So nett kann Krieg sein - 1824 allerdings lagen die Dinge ganz anders: Psara wurde während eines furchtbaren Gemetzels von den Türken fast völlig zerstört. Wenige Zeugnisse einstiger trutziger Macht und Wohlhabenheit lassen sich aber noch an alten Gebäuderesten ablesen:
Viele Gebäude waren offensichtlich nur aus flachen, unbehauen Feldsteinen gebaut. Selbst das weittragende Gewölbe einer Kassematte, die wir unter einer direkt am Meer gelegenen Ruine fanden, ist mit diesen Steinen gebaut, und hält noch immer. (Bild unten Mitte, daneben ein Teil der Gewölbedecke) Wir trauten uns allerdings trotzdem nur bis zum Eingang...
Immer wieder findet man im Ort Häuser, die augenscheinlich aus der Zeit der Befreiungskriege stammen, die der Zerstörung entgingen und teilweise bewohnt sind oder wieder renoviert werden. Am ehemaligen Heimatmuseum kann man den früheren Stil der Häuser mit orientalischen Anklängen betrachten (untere Reihe Mitte), ein Teil der Festungsanlagen am Hafen wurde wieder aufgebaut (links), selbst bei Neubauten wird der alte Festungsstil teilweise wieder aufgenommen (rechts) :

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Psara liegt zwischen zwei wichtigen Schifffahrtsrouten von und zum Bosporus: Die eine führt zum südlichen Pelepones und von da aus weiter zum westlichen Mittelmeer, die andere zum Suezkanal. Unschwer zu verstehen, dass der Insel große strategische Bedeutung zufiel, was jedoch mittlerweile nicht mehr im früheren Ausmaß der Fall zu sein scheint: In vielen Revierführern ist noch ausdrücklich vermerkt, wie streng Yachten, die Psara anlaufen, vom Militär kontrolliert werden. Wir haben bis jetzt allerdings noch keinen Offiziellen auch nur gesichtet. Ein paar Soldaten schlendern ab und zu durch den Ort. Sie sind vermutlich zur Bewachung eines großen unterirdischen Stollens abgestellt, dessen Eingang zwar recht versteckt liegt, aber vom Gipfel des hohen Berges hinter dem Ort gut auszumachen ist. Auch eine Quarantänestation aus dem 18. Jahrhundert (Bild unten), unweit des Hafens gelegen, weist auf die Bedeutung Psaras in früheren Zeiten hin. Später war in dem Gebäude anscheinend ein Restaurant untergebracht, das aber gut erkennbar ziemlich fluchtartig verlassen wurde: Bei einem Blick durch die Fenster sieht man gebrauchtes Essgeschirr mit Gläsern und Besteck, das offensichtlich schon viele Jahre auf Küchentisch und Spüle eines Abwaschs harrt.

Für ein paar Tage hatte sich ein kleines 7-Meter-Boot an unsere Seite ins Päckchen gelegt. Alleine die Größe erregt hier Aufmerksamkeit. Normaler Weise gehören wir mit unseren 10,50 Rumpf- und 12 Metern "über alles" zu den kürzeren Booten (ich schreibe bewusst nicht "kleineren" - die Unity übertrifft durch etwas mehr Breite und Höhe manche viel längere Segelyacht deutlich an Stauraum und Komfort - das geht eben dann auf die Geschwindigkeit). Aber die "Golden Wind" von Johannes lag nun wie ein Zwerglein an unser Boot gedockt. Dass Größe nichts mit inneren Qualitäten zu tun hat, beweißen Schiffchen und Crew aber eindrucksvoll: Die Golden Wind ist ein Einzelstück aus englischem Werftbau, gesteckter Mast ohne Wanten (sehr leicht zu legen, viel Bewegungsfreiheit auf dem Vordeck), Dschunkenrigg (sehr komfortabel zu bedienen, schnell und sicher reffbar). Auch bei den sonstigen Details ist auf diesem Winzling pro laufendem Meter deutlich mehr Erfahrung und Ideenreichtum "verbaut" als auf der überwiegenden Zahl standartisierter Serienboote. Auch optisch unterscheidet sich die Golden Wind stark von anderen Booten: Als Grafiker hat Johannes jede geeignete Fläche des Bootes gestaltet, am besten war dafür natürlich das Segel geeignet, das stets im Laufe der Reise mit symbolischen "Souvenirs" gefüllt wurde und von dem es zwei "Generationen" gibt (links die aktuelle):
Der Skipper steht seinem Boot an Originalität in Nichts nach: Als Matrose auf großen Rahseglern rund um die Welt gereist, Blumenkind der ersten Generation in San Franzisko, mehrere Jahre ZEN-Mönch in Japan, "Pilgerfahrten" nach Indien, Atlantiküberquerung mit der 7Meter langen, nur 1200 Kilogramm "schweren" Golden Wind. Nebenbei noch Schriftsteller in Kleinstauflage für Freunde und andere "Erleuchtete". Herausgekommen ist bei dieser Biographie eine Mischung aus Franz von Assisi, Rolf Erdmann, Dalaih Lama und Meister Eckhard (alles, dem Boot entsprechend im passenden Miniaturformat, versteht sich....). Ein pragmatischer Träumer und Welt-Weiser, der, stets freundlich gestimmt, mit im Meltemi winkend-wehendem Rauschebart am Steg die lächelnde Gelassenheit eines Meditationscamps verbreitet. Er wird begleitet von seiner Frau Dorothée, die als Radiologie-Ärztin den bodenständigeren Part des Paars übernimmt. Mit von der Partie auf der Golden Wind ist außerdem noch die Miniaturausgabe eines Belgischen Schäferhundes - speziell gezüchtet für den "Einsatz an Bord".
Man könnte Johannes als "sanften Spinner" abtun - und wenn ich ihn richtig verstehe, will er in der Mehrheit der Fälle in weiser Selbstbescheidung auch als gar nichts anderes gelten. Wir haben uns jedenfalls sehr über das Treffen mit Johannes und Dorothée gefreut, ein paar Erkenntnisse aus unseren Gesprächen mitgenommen und hoffen, noch oft Menschen dieser besonderen Art zu begegnen. Auch wenn sie vielleicht immer seltener werden, braucht sie "die Welt" - und sei es "nur" dafür, dass sie ganz einfach da sind.... Während meiner künstlerischen Ausbildung hatte ich auch für einige Zeit einen japanischen Lehrer. Manches, was ich aus dieser Zeit mitgenommen und in mein Leben integriert habe, wurde mir durch die Aussagen von Johannes noch etwas plastischer und deutlicher.

Zwei Zitate von Johannes (ob sie seine Schöpfungen sind, oder literarische Zitate, soll dahingestellt bleiben): "ZEN fährt am besten auf dem Trittbrett einer großen dogmatischen Lehre" und: "Christus sprach: Sollen wir die Händler noch einmal aus dem Tempel jagen? Buddha entgegnet: Nicht so lange sie Kirchensteuer zahlen!" Zitat Ende. Kein Kommentar ;-)

Blick auf Antipsara am Abend

 

Oben Mitte: Die hohe Felszunge, zu deren Spitze wir jeden Abend über einen schön gepflasterten Treppenweg vom Hafen aus (im Bild links unten) hinauf wandern, um den Sonnenuntergang (s. Panoramabild unten und oben) zu erleben. Ganz oben steht eine Kapelle mit einer Schiffsglocke aus Oslo (links). Eines Abends war zufällig eine Frau da, die uns die Kapelle öffnete und uns das Geheimnis hinter diesem heiligen Ort zeigte: unter einem Deckel im Fußboden der Kirche befindet sich in einer großen gemauerten Kaverne eine Süßwasserquelle. So hoch hier oben und auf einer so kargen Insel wahrlich ein Grund, den Ort "heilig" zu sprechen...
 

Und nun, meine Damen und Herren - Das Wetter.....

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Von links: Wind-, Isobaren- und Wellenkarten von "Poseidon". Außerdem rufen wir noch bei Bedarf die Daten der naturwissenschaftlichen Fakultät Athen, von "Wetter Online" und "Meto France" ab.

Unser Schiff mag vielleicht nicht das Größte sein, auch nicht das Schnellste, aber technisch sind wir "state of the art" mit Radar, Autopilot, 4-fach-GPS, 2 Kartenplottern und - last not least: Eines von unseren drei Laptops hat durch eine "3G"-Karte von "Vodafone Greece" Internetverbindung direkt an Bord. Dadurch können wir täglich schnell und unkompliziert von verschiedenen professionellen Wetterdiensten präzise, grafisch exzellent aufbereitete Wetterkarten herunterladen. Ein nicht zu unterschätzendes Plus an Sicherheit. Diese Möglichkeit gibt´s auf vielen Yachten noch nicht und so konnten wir schon oft behilflich sein, wenn Crews, die "wussten, dass wir wissen", eine kurze SMS-Anfrage schickten und wir sie exakt nach Standort und geplanter Route beraten konnten. Die "Dankeschöns" und positiven Rückmeldungen freuten uns und bestätigten unsere Analysen. Hier in Psara laden wir alle Segler zur täglichen "Wetterkonferenz" ins Ruderhaus, sobald ich die aktuellen Karten geladen habe. Dann geht´s mit 8-10 Besuchern eng und fröhlich zu und wenn die Karten für die nächsten Tage begutachtet und diskutiert sind, kann sich jeder selbst überlegen, ob und wann es für sein Ziel und seine Fähigkeiten richtig ist, wieder abzulegen.

 

Heute in der Rubrik "Das Letzte":

 

Johannes bat mich noch darum, zur Verbreitung folgender Geschichte beizutragen: ab 1930 segelte der Kieler Georg Johann Dibbern mit seiner Colin Archer "Te Rapunga" um die Welt. Als er von immer mehr Kapitänen und anderen Offiziellen aus dem mittlerweile nationalsozialistisch geprägten Deutschland dafür angegangen wurde, dass er keine Hakenkreuz-Fahne als Nationale führen wollte, erklärte sich Dibbern zum "Weltbürger", segelte fortan unter einer selbst entworfenen Flagge um die Welt und schrieb sich einen eigenen (notariell beglaubigten) Pass. Angesichts der besonderen Zeitqualität darf Dibbern durchaus als Widerständler gegen das Nazi-System begriffen werden. Im Folgenden der Text, den er in seinen (von allen angelaufenen Ländern akzeptierten) Pass schrieb (ich habe versucht, möglichst authentisch aus dem Englischen zu übersetzen):

"Ich, Georg Johann Dibbern, während langer Jahre in verschiedenen Ländern in aufrichtiger Freundschaft zu vielen Menschen vieler Landstriche, fühle, dass mein Platz außerhalb einer bestimmten Nationalität ist. Ein Bürger der (ganzen) Welt und ein Freund aller Völker. Ich erkenne den göttlichen Ursprung aller Nationen an und daher auch den Wert, der darin besteht, dass sie auf ihre jeweilige (eigene) Weise existieren. Ich achte ihre Gesetze, fühle aber meine Existenz einzig als eine Brücke guter Freundschaft zwischen ihnen. Daher führe ich auf meinem eigenen Schiff auch meine eigene Flagge, habe meinen eigenen Pass und gebe mich auf diese Weise, außerhalb anderweitigen Schutzes, dem Wohlwollen der Welt anheim."

Georg Dibbern starb 1964 hoch betagt in Australien. Er war in vielen Ländern und bei vielen Menschen ein gern gesehener und hoch geachteter Gast. Einzig das Land, aus dem er kam und dessen Marsch in verderbliche Irrwege er sich ostentativ verweigerte, schweigt seine besondere Geschichte tot. Weder der Kieler Yachtclub, noch Dibberns Heimatstadt hat auch nur seine Existenz jemals offiziell zur Kenntnis genommen. Ein sehr bedauerlicher, wenn auch sicher leider nicht unüblicher Fall von National-Chauvinismus in Deutschland - im Fall des Kieler Yachtclubs kann wohl unschwer von einer Peinlichkeit gesprochen werden. Ein Paradebeispiel dafür, wie sich ein Land hässlich und "klein" machen kann. Der berühmte Schriftsteller Henry Miller schrieb an Georg Dibbern: "Sie atmen einen Geist, so warm und groß, wie Walt Whitman. Ich salutiere vor Ihnen als einem der guten, ehrenhaften Männer dieser Erde, einem, auf den wir stets stolz sein werden.".

In diesem Sinne: "....armes Deutschland....."