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Unity in Fahrt - Blick
vom Bugkorb bei niedriger Welle
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Vathi (Insel
Samos), 11. Juli 2005
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Bevor wir Chios wieder
verließen, beschlossen wir, drei berühmte alte Städte im südlichen
Hochland der Insel zu besuchen und mieteten behufs dessen eines dieser
allgegenwärtig herumlärmenden Motorrädchen an. Womit sich unsere
Perspektive schlagartig erweiterte: das macht wirklich Spaß, mit den
Dingern durch die Gegend zu "farzen". Also starteten wir in die Richtung der hohen
Berge im Landesinnern. Bei einem Zwischenstopp bekamen wir wieder einmal die
"perfekte" Mischung zwischen Ärgerlichem und Herzlichem
verabreicht, die den Umgang mit der griechischen Bevölkerung zu einem
solch unvergesslichen Erlebnis werden lässt (ich setz das mal zur
Verdeutlichung farbig ab): 1. Unser Gefährt hatte
wohl vor langer Zeit das Schutzblech über dem Auspuff ersatzlos
eingebüßt, was Elisabeth beim Absteigen einen hässlichen und
schmerzhaften Brandfleck am Bein einbrachte. 2.
Im zufällig wenige Schritte entfernt stehenden Krankenhaus wurde sie
kostenlos und freundlichst behandelt. 3. Ein
(wie sich später herausstellte erfolglos) auf einen Freund wartender
Grieche (vor einem Jahr nach 30 Jahren USA wieder heimgekehrt - "ist
zu hektisch da"), neben den wir uns in den Schatten eines
Eukalyptusbaums setzten, entdeckte aufmerksamer Weise, dass
auch der Reifen des Hinterrads an unserem Moped defekt war und
bewahrte uns damit vor der Gefahr eines Unfalls. 4.
Der Verleiher des Leihrades versprach am Telefon kulant, sich umgehend auf
den Weg zu machen und uns ein Ersatzgerät vorbei zu bringen - "thirty
minutes". 5. Nach über anderthalb
Stunden tauchte er endlich auf, womit ein gut Teil des Ausflugsnachmittags
weg war. 6. Das Ersatzgerät war nun
einigermaßen intakt und komfortabler als das Erste, dafür
war kaum Sprit im Tank und keine Tankstelle weit und breit - unser (von
uns zuvor) vollgetanktes Erstfahrzeug hatte der Verleiher mitgenommen. 6.
Als kleinen Ausgleich durften wir das Zwei(t)rad dann noch bis zum nächsten
Morgen behalten, damit wir vor dem Auslaufen schnell noch einige
Besorgungen machen konnten. Ja - der Grieche als solcher ist
schon eine ganz eigene Mischung aus Perfektionsverweigerung und
Liebenswürdigkeit.
Aber dann konnten wir uns doch noch über
hohe Berge und durch tiefe Täler auf schwindelerregenden
Serpentin-Straßen mit grandiosen Ausblicken auf den restlichen Weg
machen. Der freundliche Weggefährte unterm Eukalyptusbaum hatte uns
erklärt, dass das erste Städtchen am tollsten sei, das zweite auch noch
nett, das dritte - na, wenn wir schon mal da seien..... Unser Resümee nach
Besuch aller drei Orte folgte dieser Wertung in exakt entgegengesetzter
Richtung - wenn auch aus ganz eigenen Gründen (s.u.). Im ersten Ort Pyrgi
hat sich eingebürgert, die Häuser in mehreren verschiedenfarbigen
Schichten zu verputzen und dann Muster herauszukratzen - sieht ganz putzig
aus, beim Gang durch den über und über gemusterten Ort bekommt man aber
leicht Augenflimmern: |
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Der nächste Ort, Olympoi, ist
eine Mischung zwischen den andern beiden: teilweise wurde hier der
Fassadenschmuck aus Pyrgi übernommen, teilweise hat der Ort bereits den
Charakter von Mesta, der letzten der "drei Schwestern" - die
Enge und Verwinkelung des Stadtbilds nimmt sichtbar zu: |
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In Mesta schließlich sind die
Häuser überwiegend schmucklos, die düsteren Gassen extrem eng und
verwinkelt, überall gähnen dunkle, teilweise bereits im Zustand des
Zerfalls befindliche Gewölbe, die in geheimnisvolle Tiefen
führen. Verschlungen wie das Gedärm eines riesigen Tiers sind die
Häuser in- und über- und untereinander gebaut, wie wenn das ganze
Ensemble ein einziges riesiges Gebäude mit ineinander verkrallten und
verwachsenen Teilen wäre. Man wandert durch die oft kaum schulterbreiten
Schluchten und tunnelartigen Durchgänge mit dem Gefühl, einen Zeitsprung
weit vor das Mittelalter getan zu haben oder direkt in die
mystisch-bedrückende Kulisse des berühmten Stummfilmklassikers "Der
Golem". Faszinierend der durch fast keine Renovierung
"gestörte", durchgehend erhaltene Baustil. |
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Heute leben hier nur noch 300
Menschen - und selbst das ist ein Wunder angesichts des Moders, des
Verfalls, der Düsternis und Enge. Wie muss es gewesen sein, als in diesen
Mauern noch ein paar Tausend Menschen lebten und liebten, kochten und sich
erleichterten, wuschen und werkelten, stritten, furzten und kotzten, arbeiteten
und handelten, schliefen und starben? Es stank vermutlich bestialisch, es
war laut in der unentrinnbaren Enge, es war heiß mitten in dieser
sonndurchglühten Landschaft, was wiederum den Gestank noch
verschlimmerte. Plötzlich, nachdem man das heute in geisterhafte Stille
getauchte Labyrinth eine ganze Weile durchwandert hat, tut sich plötzlich
in der Mitte des Orts wie die Lichtung in einem Urwald ein freier Platz
auf, dessen relative Weite nach der Gedrängtheit
überrascht. In seiner Mitte steht ein trutzig-machtvoller Bau auf einer
marmorgepflasterten Terrasse wie auf einem gewaltigen Podest erhoben. Man
tritt unter einem säulengetragenen Steinbaldachin durch eine Pforte - und hält unwillkürlich den Atem an: die
prächtigste, mächtigste Kirche, die ich je in Griechenland gesehen habe
(und einige haben wir durchaus begutachtet). Dreischiffig, hoch aufragend,
überall Gold, Schnitzereien und Malereien. In der Mitte eine Reihe von
bombastischen, riesigen Kronleuchtern, wie ich sie noch in keinem Schloss
der Welt sah (und - ja - auch davon habe ich mir schon so einige
angeschaut). Ein Pomp, der gerade im Kontrast mit der ihn umgebenden
gewundenen Geducktheit, Niedrigkeit und Düsternis des übrigen Ortes
verblüfft. |
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Das "Soli Deo
Gloria" bekommt plötzlich einen dumpfen Beigeschmack und man
beginnt sehr plastisch untermalt zu ahnen, welche Befreiung in der Säkularisierung liegt. Mit
welchen Drohungen von Höllenfeuer und ewiger Verdammnis, mit welch
erbresserischem Missbrauch der christlichen Lehre müssen Generationen
paranoid ehrgeiziger und machtbesessener Popen eine relativ kleine
Gemeinschaft, die in Enge, Düsternis, Dreck und Gestank vegetierte, dazu
gebracht haben, die Mittel für ein solches, angesichts der Umgebung
absurdes, Monstrum zur furchtsamen Verehrung eines entsetzlich
strafenden Gottes aufzubringen? Alles, was im vergleichsweise heiter
wirkenden Pyrgi zu Schmuck und
Qualität der eigenen Behausungen aufgewendet wurde (und vermutlich
noch viel, viel mehr) wurde hier den Popen in die Hände gelegt.
Welch bedrückend menschenverachtende Perversion der Lehren eines
Jesus, der vor 2000 Jahren auf dem Feld predigte, Tempel weitgehend
mied und den Menschen zu geistiger Freiheit vom "Alten
Gesetz" verhelfen wollte. Der sakrale Prachtkoloss in Mesta
sitzt dagegen wie eine bräsig-gefräßige Drohne inmitten des ausgebluteten
Ortes, dessen Lebenssäfte sie im Lauf vieler mühsalbeladener
Generationen fast gänzlich aufgesogen zu haben scheint. Eine
beängstigende, abstoßende Vorstellung. Überraschender
"Verfremdungseffekt" inmitten dieser Inszenierung: Eine durchaus attraktive
Amerikanerin der "68er"-Generation (blond, langhaarig,
Katja-Epstein-ähnlich, in klassisch-elegantem Sportswear), lässt
uns mit freundlichem Lächeln ein in das Kirchenschiff und
schaltet die mächtigen Kronleuchter für uns an. Allzu persönliche Fragen
verbieten sich selbstverständlich, aber immerhin erfahren wir, dass
diese Dame bereits seit über 20 Jahren hier wohnt. Kann man wirklich sein
Herz an einen solch einsamen, sterbenden Ort hängen, in dem die
Kirche eine über viele Jahrhunderte anhaltende Beraubung von geknechteten
Gläubigen "zelebrierte"? Nun - die Geschmäcker sind
bekanntlich verschieden und sicher kann man auch zu einer anderen
Interpretation dieses Phänomens mitten in den Bergen am Südzipfel
der Insel Chios gelangen. Wir atmeten jedenfalls befreit auf, als
wir wieder vor den Toren dieser Stadt standen. Und die
Überzeugungen unserer Religiosität änderten daran nicht das
Geringste. |

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Auf der Rückfahrt
hatten wir einen weiten Blick über die Meerenge zwischen Chios und
dem türkischen Festland
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Am nächsten Morgen
liefen wir aus zu einem ruhigen und kurzen Schlag in den kleinen
Fischereihafen von Katarraktis im Südosten der Insel Chios.
Freundliche Provinzialität und Stille: ein erholsamer Kontrast nach
all dem Lärm und der Hektik in Chios-Stadt. Von hier aus wollten wir den
Absprung zur Insel Samos wagen. |
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Abenddämmerung: Die
Unity im winzigen Hafen von Katarraktis - einzige Yacht zwischen
Fischerbooten.
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Die Wettervorhersage war
gut und so liefen wir am nächsten Morgen relativ früh aus zum
längeren Schlag mit dem Zielhafen Karlovasia auf der Insel Samos.
Wir hatten berechnet, dass wir mit unserer normalen
Reisegeschwindigkeit mindestens eine (Sicherheits-)Stunde vor
Dunkelwerden eintreffen müssten. Die Standart-Strategie bei
längeren Distanzen: erst mal unter gemäßigter Maschinenkraft
auslaufen und im Lauf der Fahrt (wenn möglich dann auch ohne
Motorhilfe) mitnehmen, was an Wind geboten ist.
In diesem Fall wurde im Lauf des Tages immer mehr geboten, sodass
wir bereits vor halb fünf Uhr am Abend in den Hafen einliefen - ca.
drei
Stunden früher, als von uns berechnet. |

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Schon dreißig
Seemeilen vor Samos tauchte schemenhaft der über 1400 Meter hohe
Gipfel des Berges Kerkis aus dem Dunst auf.
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Im riesigen Hafenbecken
war ein Kai im Hafenplan für Yachten gekennzeichnet, aber fast
alles war mit Fischerbooten belegt. Gerade mal ein paar wenige Meter
in einer Ecke des
Kais, an denen wir dann doch noch festmachen konnten. Immerhin half
uns bei heftigem Seitenwind ein freundlicher Mensch, die Unity gut
anzulegen und mit Springs zu verzurren. Danach machten wir eine
grausige Entdeckung: exakt da, wo noch ein Plätzchen für Gastboote
frei gelassen worden war, warb ein "Techno-Bummslokal" mit
großen Plakaten überm Eingang für seine nervtötenden
Dienstleistungen. Ein absurder Schwachsinn. |
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Interessant
immerhin, dass die Plakatwerbung (Abb. rechts und links) deutlich
Menschen im Zustand hirnzerfetzter Trance zeigt, wie er durch den
Klangmüll erzeugt wird. Welche Masochisten fühlen sich durch diese
visuelle Drohung einer wahngetriebenen, verstörenden Dröhnungsattacke angezogen?
Auf der Abbildung des Hafens unten habe ich die Lage in Karlovasia
illustriert: Grüner Bereich: Yachtkai, von Fischern annektiert
(trotz separatem, geräumigem Fischereihafen (nicht im Bild) und
-Kai (im Bild rechts daneben), gelb-orange: wo noch angelegt werden
kann, roter Punkt: Techno-Schuppen. Vermutete Message: "Wenn´s
denn sein muss, legt eben an, aber allzu wohl fühlen solltet ihr
euch wenn möglich nicht - und wenn wir akustisch etwas nachhelfen
müssen...." |
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Als versöhnliche
Nachbemerkung soll erwähnt sein, dass wir mit dem Schrecken
davonkamen: aus irgendwelchen Gründen legten die Krachmeier an
diesem Abend noch nicht los. |
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Bevor wir doch noch beschallt
wurden, legten wir am nächsten Morgen schnell wieder ab und wurden mit
herrlichem Segeln bis in den Haupthafen Vathi belohnt. Ebenfalls ein riesiges
Hafenbecken und wir die einzige Yacht. Wir legten uns hinter die
Schnellboote der Coast Guard, deren Mannen sich als sehr hilfsbereit und
freundlich erwiesen. Schnell eilte ich zum Office der Port Authority, da
wir in Karlovasia vor lauter "nix wie weg" versäumt hatten, der Einladung der Port
Authority zu einem Besuch nachzukommen. Freundlicher
weise erhielten wir, als wir uns per Funk entschuldigten, Absolution für dieses Vergehen,
nachdem ich ungefragt hoch
und heilig versprochen hatte, mich gleich nach dem Einlaufen in Vathi
daselbst zu melden.
Hier waren dann alle sehr freundlich, die Formulare wurden vom Officer für uns
ausgefüllt, Hafentaxe wurde keine erhoben, und auf meine vorsichtige
Frage nach Wasser und Strom eilte ein netter Mensch herbei und
verabreichte uns Anschlüsse für beides. Was kost´s? Freundliches
Grinsen und Handwedeln, sprich: nichts. Wir waren baff. Ein Hafen, in dem
wir offensichtlich herzlich willkommen waren. Am Abend flanierten wie
überall viele Menschen am Boulevard entlang und wir wurden des öfteren
freundlich gegrüßt. Ein älteres Ehepaar sprach uns an - Einheimische,
die seit 30 Jahren in Wiesbaden leben, aber jedes Jahr für eine gewisse
Zeit in ihre Heimat kommen. Wir gaben unserer Freude über die freundliche
Behandlung Ausdruck und erhielten die lakonische Antwort: "Na wir
leben doch vom Tourismus, da müssen wir Euch doch gut behandeln!".
Bitte, bitte weitersagen nach Karlovasia! Auch für unsere negativen
Erfahrungen auf Skopelos erhielten wir eine Erklärung: die Bewohner von
Skopelos gelten anscheinend auch unter Griechen als "etwas
eigen". Nun denn - immerhin hatten wir da dann nichts
fehlinterpretiert..... |

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Dass es an diesem schönen Ort
auch noch einen "DIA"-Markt gleich in Gehnähe unseres
Liegeplatzes gibt, bei dem wir mühelos bunkern können, ist schon fast zu
viel des Guten. "DIA" bietet zu unschlagbar günstigen Preisen
symbolisches Europa: Eine spanische Supermarktkette in Griechenland
mit sehr wohlschmeckendem holländischem Bier, gebraut nach dem deutschen
Reinheitsgebot. Na dann Prosit..... |

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Hoch über dem Hafen liegt die
Altstadt von Vathi. Wir waren so sportlich, trotz spätnachmittäglichen
34° hinaufzusteigen (der armen Pia hing die Zunge meterweit aus dem Maul). Die Struktur
der engen Gässchen ist am besten mit einer Anekdote von Commodore Elias
beschrieben: "Die Häuser stehen so eng, dass in früheren Zeiten die
Einwohner bei einem Piratenüberfall mühelos von Dach zu Dach fliehen
konnten, lange bevor die Piraten es auch nur geschafft hatten, unten die
Haustüre einzubrechen". Wie wir bei unserer Besichtigung feststellen
konnten, gut vorstellbar - aber was passierte mit der armen arthritischen Oma? |
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Die "Bruchbude"
rechts oben habe ich photographiert, weil sie anschaulich einen Blick auf
die klassische Baustruktur dieser Häuser freigibt. Im übrigen ist an dem
Örtchen neben dem üblichen Gewinkel und Geschachtel (links) der
herrliche Ausblick über die Bucht (Mitte und oben) und der Anblick aus
etwas Distanz bemerkenswert (oben und unten). Weil´s so nett ist, bleiben
wir wohl noch zwei Tage, bevor wir nach Pythagoreio an der Südküste
weiterreisen. Da soll´s "idyllisch" sein mit vielen Yachten und
Touristen - wir hören die Botschaft mit gemischten Gefühlen..... |

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