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Freitag, 22. August 2003 - Patras. Wir bleiben einfach noch 2 Tage. Der Wind sieht nicht ganz "koscher" aus und neben uns liegt ein deutsches Ehepaar, das mitten auf dem Meer seines Schiffspropellers verlustig ging (kommt anscheinend ab und zu vor) und nun zum Kranen geschleppt werden muss, damit ein neuer Propeller angebracht werden kann. Wir haben versprochen, dabei zu helfen und das Boot eventuell sogar mit der Unity bis zum Kran zu schleppen. Wenigstens unter Fahrtenseglern sollte die Hilfsbereitschaft guter Seemannschaft noch praktiziert werden. Von manchen Seglern (hoher Prozentsatz: Charterer - von Motoryachten nicht zu reden) darf man ja teilweise nicht einmal mehr die Grundregeln allgemeiner Höflichkeit und (wenigstens) akzeptablen Benehmens erwarten (ausgelassene Urlaubsstimmung ist keine Entschuldigung - dafür ist "Ballermann6" eine gute Adresse). -  Ich hoffe, einige "Charterer" lesen das und verschwenden einen oder zwei Gedanken daran, da es für die jeweilige Chartercrew mindestens so peinlich ist, wie für die jeweils Betroffenen ärgerlich (ich befürchte allerdings, dass es mal wieder "die Falschen" lesen und die, die es angehen könnte, sich absolut nicht angesprochen fühlen). Entsprechendes "Benimm" sollte nicht nur im Restaurant, der Oper oder in der Kirche selbstverständlich sein, sondern eben auch oder gerade auf See, wo Leben und Gesundheit (nicht zu reden von immensen Sachschäden) davon abhängen können.

Wir hören des öfteren davon, dass Segler immer stärker von Motorbooten verdrängt werden (Spitzenreiter: Ibiza - da dürfen gar keine Segelboote mehr einlaufen). Kommerziell verständlich: Motorboote hängen, kaum dass sie eingelaufen sind, eine Stunde und mehr an der Dieselzapfsäule, um ihre leergefahrenen Tanks aufzufüllen - wir selbst haben seit Beginn unserer Reise Mitte Mai in gut 3 Monaten mal eben knapp ein Viertel (ca. 140 l) unseres Dieselvorrats verfahren - eine Menge, die manche Motoryacht mühelos in weniger als einer halben Stunde (!!) verbraucht. Ist das nun der (vorläufige) Höhepunkt einer Entwicklung, der ökologische Gegebenheiten inzwischen völlig schnurz sind und die einfach noch einmal etwas gnadenlos ohne "Rücksicht auf Verluste" zum egoistischen Vergnügen ausnutzt, was es bald nicht mehr gibt, oder geht dieser Raubau unabsehbar weiter - ich befürchte inzwischen Letzteres und schließe mich in Demut dem Urteil vieler weiser Männer an, die quer durch die Jahrhunderte postulierten, dass das Letzte, an was man bei der Menschheit appellieren dürfe, die Vernunft sei. (Es gibt ja genügend anderes: eigenes Wohlbefinden, Gier, Macht, Neugierde, Schadenfreude, Geilheit, Sicherheitsbedürfnis, Eitelkeit oder ganz einfach "Spaß" und Zerstreuung, damit man über die Sch...., die eine solche Gesinnung anrichtet, hinweggetäuscht wird. Ein Blick in aktuelle Werbung, die ja auf zeitgemäße Bedürfnisse zielt, bestätigt obige Liste und setzt noch ein paar Aspekte hinzu, die auch nicht appetitlicher sind).

Und wo bleibt das Positive? So seltsam das klingen mag: Für uns darin, das alles zu erleben: Freundschaftliche Begegnungen mit freundlichen, interessanten Menschen und die ganze Palette menschlicher Unzulänglichkeit, ebenso wie herrliche Segeltage und Tage mit Sturm und Wellen oder Flaute und brütender Hitze, herrlich stille Buchten und stinkende Stadthäfen mit Gedrängel. Ich habe ab und zu unter Freunden als eine Begründung, eine Weile zur See zu fahren, angegeben, dass ich mich für eine Weile "in Gottes Hand" begeben möchte (nach dem bekannten Satz: Vor Gericht und auf hoher See ist man nur noch in Gottes Hand), was einiges Schmunzeln verursachte, jedoch von mir durchaus auch ernst gemeint ist: Hier, mitten unter ständig neuen Menschen, die wir, im Gegensatz zu unserem bisherigen Zuhause, erst einmal absolut nichts angehen und wo jeder Kontakt ein neues Abenteuer ist und mit den Herausforderungen einer gleichmütigen See, die uns viele wunderbare Segelerlebnisse schenkt, uns aber auch ebenso gleichmütig verschlingt, wenn wir ihre Gesetze nicht beachten, sind wir plötzlich alleine mit Gegebenheiten, in denen viel Klugheit und persönliche Demut gefordert sind. Alles helden- oder gar machohafte, aller Eigensinn, Eitelkeit und Leichtfertigkeit wird hier umgehend "bestraft". Eine Situation, in der man recht nachdrücklich mit seinem "eigenen Gott" wie auch mit seinen eigenen Schwächen konfrontiert wird. Man lernt daraus entweder (und dann ist es eine mit fast nichts vergleichbare Erfahrung), oder man geht auf die eine oder andere Art "unter". Ich habe in den letzten Monaten und Jahren in Deutschland so viel Eindrückliches erlebt zwischen Leben und Tod, Glück und Unglück, Hoffnung und Enttäuschung, dass ich das Gefühl hatte, eine solche Zeit wäre jetzt sinnvoll. Das Leben ist keine glatte, lineare Bewegung. Ein Innenhalten, Einordnen, Bilanzieren ist für eine geistige und seelische Lebensqualität ab und zu nötig. Und dann braucht man eben auch den Dialog mit einem "Gegenüber", das "höher ist als alle menschliche Vernunft". Und sei es, um daraus wieder ganz "menschliche" Entscheidungen und Schlüsse zu ziehen. Ich habe oft den Eindruck, unserer Gesellschaft geht in wachsendem Maße solch ein ganz pragmatischer Draht zu etwas, das über allem Menschlich-Allzumenschlichen steht, verloren (dass das wenig mit einem tradierten Gottesbild oder modischer Esotherik zu hat, habe ich an anderer Stelle ausführlich dargelegt). Aber wohin soll sich dann ein solcher Dialog richten, wenn überkommene Weisheitslehren nicht weiterentwickelt, sondern nur noch pauschal abgelehnt werden? (Menschen, die sich großmäulig das Papperl "Atheist" an die Brust kleben, empfinde ich als ebenso lächerlich, wie "Irgendwie-Christen"). Man muss nur beim deutschen "Volksdichter Nummer1", Gevatter Goethe, nachlesen: "Was du ererbt von deinen Vätern, erwirb es, um es zu besitzen". Es gibt wohl nichts "Vorkonfektioniertes" (oder man muss sich eben mit der mitunter recht schlichten "Ware" von  Kirchen, Parteien und sonstigen "Dienstleistern" begnügen). Nur - wegen der damit geforderten Eigenarbeit sich des Themas ganz zu entledigen, ist sträflich ignorant und schlägt sich nach meiner persönlichen Überzeugung sowohl auf das Wohlergehen des Einzelnen wie der Gesellschaft eher über kurz, denn über lang äußerst schädlich auf allen Bereichen nieder. 

Lohnt es sich, zur Gewinnung solcher Gedanken zur See zu fahren? Antwort: wenn man sie dadurch bekommt, unbedingt (wobei anscheinend leider viele Urlaubssegler nur nasse Füße und einen Sonnenbrand bekommen - aber wer weiß, was sich in ihrer Seele tut, auch wenn sie erst einmal gar nicht darauf achten oder sich auch nur dessen bewusst werden). Wenn´s dann auch noch so viel Freude macht, wie das bei Elisabeth und mir der Fall ist, erst recht. Was es nützt? Himmel! Eine schwäbisch - hanseatisch, oder eben durch und durch protestantische Frage. Erstens sind wir gerade mal beim Nachdenken und Erkennen (sehr protestantisch), zweitens beim Genießen (ganz und gar unprotestantisch) und drittens wird uns wohl über kurz oder lang sicher einfallen, was wir daraus machen können (eher buddhistisch - fatalistisch). Aber das Gold, aus dem man einen Ring schmieden will, muss ja auch zuerst einmal gewonnen werden .... und dann gibt´s doch eine Platinenbeschichtung ..... ;-)