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Zum Jahresbeginn eine schwungvolle, handschriftliche Studie. Vor vielen Jahren wurden meine Entwürfe für ein großes Plattenlabel von der hauseigenen Chefdesignerin mit dem Prädikat "...geiler Strich...!" bedacht. Mit nunmehr 53 Jahren überlege ich mir, ob mir ein "geiler Strich" noch ansteht? Rein handwerklich gesehen habe ich mich in meinen Arbeiten oft von diesem "meinem" Strich aus verschiedensten Gründen entfernt, zuletzt nachdem mein "Mal-Arm" nach vielen tausend Bildern Ende der 90er für einige Jahre fast vollständig seinen Dienst versagte und ich zeitweise ausschließlich "digital" arbeitete (z.B. "Montalban", "Lord of Silence").

"Ich singe weil ich ein Lied hab"

Motiv als Kunstdruck 

Und doch – der "geile Strich" bleibt. Vielleicht weil er wirklich viel mit "Lust" zu tun hat und eben "alle Lust Ewigkeit" will? Oder ganz einfach, weil diese gestalterische Handschrift zu mir gehört wie meine Nase und mein "Hochschwäbisch". Meine Art, Schwung zu holen, um eine Form und gestalterische Komposition zu um- und er-fassen, hat viel mit meinem "Selbst" zu tun. Sie zu kopieren ist fast schwieriger als der Versuch, sich persönlich für mich auszugeben. Es bedarf, abgesehen von der konzeptuellen Vorarbeit, vieler Tausend farblicher und formaler Einzelentscheidungen, bis ein Bild fertiggestellt ist. Bei einem "handschriftlichen" Bild allerdings reduzieren sich diese Entscheidungen beträchtlich: wie bei einer tausende Mal ausgeführten Unterschrift gibt es hier "kein Zögern und kein Vergreifen". Das Resultat mag, wie das eine oder andere Schriftbild, nicht "jedermanns Sache" sein (ein unangenehmer Gedanke, wäre es anders...), aber es gibt keinen höheren Grad an Authentizität: Das bin ich.
Was könnte ich am dreiundfünfzigsten Jahreswechsel meines Lebens beschließen? Vielleicht das: "handschriftlich leben" – und auch wieder vermehrt handschriftlich gestalten – und das nicht nur in Bildern.
Mitten in einer Kultur, in der immer mehr glatt gebügelt wird und angesagte kosmetische Korrekturen nicht mehr nur die Nasen, sondern auch die Seelen der Mode- und Anpassungswilligen zu umfassen scheinen (der zwischen Nase und Seele eingeklemmte "Geist" hat schon lange vor dem Entschluss zur Selbstverstümmelung offensichtlich kapituliert). Das von den letzten (?) Philosophen ausgerufene "Ende der Metaphysik" hat Religion, Humanismus und Aufklärung zu Auslaufmodellen erklärt. Zurück bleiben vermarktbare Identifikationsangebote und jenseits davon der immer nacktere Kampf ums Überleben menschlicher Würde - ohne Flatscreen-HDTV und DSL-Anschluß. Besonders "prekär", wenn allerorten impliziert wird, dass HighTec "den Menschen macht".
Wer einem besonders geschätzten Menschen eine wichtige Nachricht zukommen lassen will und genügend Stil besitzt, wird das auch heute manchmal noch handschriftlich auf möglichst edlem Papier tun (und nicht per SMS). Auch im Übertragenen hat zugewandtes "handschriftliches" Handeln nicht nur etwas mit der (unabdingbaren) eigenen Wertschätzung, sondern auch mit der Wertschätzung des "Anderen" zu tun, wenn eben mehr als das Abziehbild wohlfeilen Mainstreams "geboten" werden soll.

"Nichts ist so schön und ehrenhaft, als wahrhaft und wie es sich gehört ein Mensch zu sein."

(Michel de Montaigne – skeptischer Essayist, Ökumeniker und Freidenker)

 

 

Leben wir handschriftlich