zurück zur Übersicht

Vorbemerkung nach der freundlichen Zuschrift eines etwas irritierten Charterskippers: Selbstverständlich werden in diesem Text nur einige Defizite einiger Chartercrews "portraitiert" - dies ist keine Bewertung einer "Spezies". Wir haben selbstverständlich auf unseren Reisen auch viele Crews mit seglerischem Können (das sicher teilweise unser eigenes übertrifft) und gut praktizierter Seemannschaft kennen gelernt. Aber einige der unten angeführten Themen waren eben doch so häufig zu beobachten, dass sie mir einer "kritischen Würdigung" wert waren. Wie weit diese zutrifft, überlasse ich der Beobachtung, Erfahrung und - Selbsteinschätzung jedes einzelnen....

 

Die gemietete Freiheit

Demokratisierung des Lebens heißt unter anderem auch: "Wer will, der darf (es versuchen)". Ob er´s dann auch kann, ist eine andere Frage. Das fängt bei Hobbykünstlern an und hört in der Politik nicht auf. Etwas mehr in der Ecke der Freizeitmaler ist die Möglichkeit angesiedelt, dass jedermann und jedefrau sich jederzeit eine Yacht mieten und mit dieser für eine gewisse Zeitspanne sich und andere in Lebensgefahr bringen darf. Wo bei den Hobbymalern höchstens die Gefahr besteht, sich im Streit über das richtige Blau mit dem fuchtelnden Pinselstiel ein Auge auszustechen, sind die Möglichkeiten aktiver Körperverletzung bei den Hobbyseglern ungleich vielfältiger.

Aber wie der Freizeitmaler sein Tun in der optimistischen Intension betreibt, dereinst ein größerer oder kleinerer Leonardo zu sein, sticht auch sein segelndes Pendant als Marco Polo in See - um sehr oft im ersten Hafen mit einem Manöver à la "Lieschen Müller" anzulegen. Was unterwegs passiert, bekommt die Welt jenseits der Bordkante zumeist nur am Rande mit. Zum Beispiel wenn Teile der Crew kurz nach dem Anlegen fluchtartig das Boot verlassen - teilweise gleich in Begleitung ihres Gepäcks. Und trotzdem: Eigentlich kein Grund zur Häme. Woher soll sie denn auch kommen, die Souveränität? 51 Wochen davon geträumt, Wind und Wellen die Stirn zu bieten und in der 52. Woche auf einem oft schlecht gewarteten Mietboot unterwegs, dessen Eigenschaften man nicht kennt. Außerdem sollte noch möglichst schnell aus der Landratte, die man das ganze Jahr über war, der Seebär werden, in dessen Rolle man sich den Urlaub vorgestellt hat.

Da das unmöglich ist, tut man einfach so "als ob". Mit entsprechenden Resultaten: Die Kenntnisse der Meteorologie sind lausig, aber irgendwer am Steg meinte, das Wetter wird "gut" - also "raus". Dass der "irgendwer" ein Harakiri-Segler ist, der zusätzlich das falsche Seegebiet beobachtet hat, erfährt der Hobbyskipper nicht mehr, wenn er mit Sturm und Monsterwelle auf der Nase seine durchnässte und genervte Crew mit Müh und Not unter Motor in den nächstbesten Hafen gerettet hat. Das ist die harmlose Variante. Bei verschärftem Seebär-Syndrom wird der Starkwind freudig begrüßt, alle Segel werden gesetzt und ein persönlicher Geschwindigkeitsrekord angepeilt. Materialschäden? Ist doch eine Mietschüssel. Befindlichkeit der Crew? Hätte ja zu Hause bleiben können. Sicherheit? Verächtlicher Blick auf den weichlichen Bedenkenträger. Mit fünf Knoten Fahrt bei moderater Brise kann man am Stammtisch des heimischen Yachtclubs am Binnensee bei Castrop-Rauxel keinen Stich machen. Und die nächsten 50 Wochen als Leichtwindsegler geächtet zu werden - undenkbar. Also wird das Boot zum Kompensationsinstrument des Unrechts, dass man es ansonsten nur bis zum Stellvertreter des stellvertretenden Abteilungsleiters gebracht hat und die Crew zur unfreiwilligen Zeugenschar für die Tatsache, dass man ja doch ein Pfundskerl ist. Ein Leonardo da Vinci des Steuerrads, ein Albert Einstein des Segeltrimms, ein John Wayne des Ritts über die Wellen. Dass man eigentlich nur ein Reinhold Messner auf dem Gipfel der Selbstüberschätzung ist, wagt von der übrigen Crew keiner zu sagen. Die armen Menschen sind meist zur Erfindung solcher Metaphern ohnehin nicht mehr fähig und bewegen nur noch "Four-Letter-Words" in ihrem durch Übelkeit und Angst geschwächten Gemüt.

Beim Anlegen im nächsten Hafen ist diese Crew dann so geschwächt und erleichtert, dass sie selbst das lausigste Anlegemanöver geduldig mitmacht. Fünf missglückte Versuche während die Crews der Nachbarboote eineinhalb Stunden in Hab-Acht-Stellung im Bug ihrer Boote verharren müssen, während der Seebär mehrere Anker ausreißt, sein Boot quer vor die anderen Boote treiben lässt und die Länge der Ankerkette falsch einschätzt, werden ebenso schicksalsergeben akzeptiert wie die missverständlich oder falsch oder gar nicht gegebenen Kommandos, der rüde Ton und die Peinlichkeit, von zwanzig genervten Menschen in den Nachbarbooten mitleidig beobachtet zu werden.

Wenn man dann endlich festgemacht hat, stellt man beiläufig fest, dass das ja gar nicht der Hafen ist, in den man ursprünglich wollte. Die aus dem Auto mitgenommene Straßenkarte ist aber auch so was von ungenau. Und wegen der einen Woche viel Geld in sündteure Revierführer und Seekarten investieren? Dafür kann ja die komplette Crew ein Mal essen gehen in der nächsten Taverna. Spätestens nach der dritten Kanne Wein finden dann vielleicht alle, dass ein toller Segeltag hinter ihnen liegt.

Natürlich stimmt das so alles gar nicht oder ist zumindest eine maßlose Übertreibung. Zumindest darin werden mir umgehend alle Hobby-Seebären, die diesen Text lesen, umgehend und nachdrücklich zustimmen. Der Mietskipper, der aus der Deutschen Bucht kommend bei Sturm in Marstall (DK) einlief, an einem Tag, an dem sonst keiner raus wollte, und stolz herumtrompetete, dass sie ihr "Teil" drei mal "auf die Backe gelegt" hätten, war ein einzelner Irrer, die Dame, die uns mit zittriger Stimme vorgestern aus dem Cockpit des Nebenbootes erzählte, dass sie "nur noch Angst" habe, ist eine nörgelnde Zicke und die Boote, die wir hin und wieder bei 7 bft Wind mit Vollzeug vorbeizischen sehen, sind eine Fata Morgana.

Und vielleicht schau ich am besten das nächste Mal einfach weg, wenn ein Charterboot schräg schlingernd versucht, in unserer Nähe anzulegen, anstatt hilfreich aufzuspringen, damit ich von schmierigem Hafenwasser triefende Leinen ins Gesicht geworfen bekomme, an denen ich mir dann die Hände wund zerre, weil der Seebär vergessen hat, den Gang rauszunehmen und die Ankerkette nicht weit genug ausgelassen wurde. Tun wir doch einfach, als hätten wir nichts gesehen - dann muss ich auch keine völlig übertriebenen Geschichten mehr erzählen. Aber nein - einstweilen beharre ich dickköpfig auf den Regeln seemannschaftlicher Hilfsbereitschaft - und kann partout ab und zu meinen lästigen Schnabel nicht halten....

Beispielhafter Nachtrag: siehe Logbucheintrag vom 4. Oktober 2004