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09. November 2004 - Kalamata / Harburg

Fahrt nach Westen - in die Nacht hinein, hinaus auf´s "offene" Meer 

 

Am 20. Oktober neigte sich unsere sommerliche Rundreise neigte dem Ende zu. Von Monemvasia brachen wir auf zur Insel Elafonisos an der Südspitze des Kap Maleas (östl. "Finger" des Pelepones), nachdem die Langzeit-Wetterprognose von "Wetter-Online" eine mehrtägige Schönwetterphase angekündigt hatte. Im idyllischen Hafen von Elafonisos schauten wir zur Sicherheit noch einmal bei "Poseidon" nach. Plötzlich wurden genau an unserer Ecke Starkwinde angesagt. Da das Kap Maleas eine unter Seefahrern berüchtigte Ecke ist, beschlossen wir, abzuwarten. Am frühen Nachmittag schauten wir nochmals im Internet nach - nun hatte sich auch Poseidon nach unten korrigiert. Aber um nach Porto Kagio am mittleren "Mani" - Finger weiterzureisen, war es schon zu spät. Zum ersten Mal während unserer Reise hatte uns der Wetterdienst Poseidon richtig schön irregeführt.

Nach kurzer Beratung änderten wir unsere Strategie grundlegend: Statt "gemütlich" in 3 Schlägen von ca. 30 Seemeilen den Rest der Reise bis Kalamata zu absolvieren, wollten wir in einer Fahrt von ca. 20 Stunden die Gesamtstrecke bewältigen und dazu am frühen Abend starten. Nachdem wir nun schon einen Monat länger "draußen" geblieben waren wie im letzten Jahr, wollten wir es nicht riskieren, noch einmal von einem Wettereinbruch aufgehalten zu werden, zumal es auf direkter Strecke bis Kalamata keinen verlässlichen Hafen zum "Abfeiern" von Starkwinden gibt.

Also starteten wir um 17:00 Uhr - wieder hinein in einen wunderschönen Abend und danach legte der zunehmende Mond eine Lichtstraße seitlich an unserem Boot bis weit hinaus auf´s Meer. Je weiter es in die Nacht ging, um so mehr hatten wir das Gefühl, dass auf dem freien Meer in der Nacht alle bösen Geister losgelassen sind: Ein Muhen und Meckern vermischt mit Grunzen und Blöken, mit Musikfetzen aller weltweit epidemisierenden subkulturellen Strömungen quäkte im Funk über Arbeitskanal 16 in unser kleines Ruderhaus: den Funkwachen der in einiger Entfernung vorbeigleitenden Seefrachter musste entsetzlich langweilig sein. Der Spuk hatte abrupt ein Ende, als eine Mayday-Meldung über den Notkanal ging: Ein Frachter in einiger Entfernung meldete "Mann über Bord". Daraufhin herrschte betroffene Stille. Wir rundeten währenddessen das Riff am mittleren Pelepones-Kap. Als wir das Riff gerade hinter uns hatten und der Autopilot auf Kurs Kalamata nordwärts durch den Messinischen Golf programmiert war, traute ich beim Blick auf den Kartenplotter meinen Augen nicht: Über Grund fuhren wir nach dessen Angaben weit über 9 Knoten schnell! Der zweite Blick zeigte noch mehr Verwunderliches: wir bewegten uns in dieser Geschwindigkeit rückwärts! Das hätte, unsere Geschwindigkeit durchs Wasser eingerechnet, eine Strömung von über 14 Knoten bedeutet! Auf der elektronischen Karte entdeckte ich außerdem, dass nach dessen Angaben diese rasende Fahrt ein ganzes Stück von unserer letzten feststellbaren Position entfernt begonnen hatte. Was zum Teufel war da los? Wurden wir gerade mit rasender Geschwindigkeit zurück in Richtung des eben glücklich passierten Riffs getrieben? Dem Blick ringsum auf die entfernt am Ufer blinkenden Lichter war für die aktuelle Situation nichts Definitives zu entnehmen. Das Radar. Die Beobachtung des Bildschirms bestätigte uns recht bald, dass wir genügend Abstand zum Ufer hatten und uns langsam nordwärts in der dem Autopilot eingegebenen Richtung bewegten. Auch wenn wir daraufhin unsere Seelenruhe wieder einigermaßen wiedererlangten, trauerten wir nun um den Verlust unseres augenscheinlich "leckgeschlagenen" Kartenplotters. Nun denn - frisch unsere beiden Ersatz-GPS-Geräte hervorgeholt und eingeschaltet. Erfolg: Null. "No satelite available". Wir erinnerten uns plötzlich, schon seit geraumer Zeit den Funkverkehr zweier amerikanischer "Warships" und eines augenscheinlich zu ihnen gehörenden Hubschraubers auf UKW mitgehört zu haben. An dieser Stelle bedanken wir uns herzlich bei unseren "Amerikanischen Freunden", dass sie uns wegen irgendeiner bekloppten Übung mitten in der Nacht sozusagen "das Licht ausgeknipst" haben, sprich: offensichtlich das GPS-System für einige Stunden ohne Vorwarnung abschalteten. Hallo Europa, bitte schnell "Galileo" in Betrieb nehmen! Die Paranoia, Rücksichtslosigkeit und Arroganz der Amis kann einen Segler das Leben kosten! Wären wir in einem Gebiet mit vielen Untiefen und Riffen unterwegs gewesen, wäre die Situation richtig brenzlig geworden. So vertrauten wir unserem Radar und dem vor dem GPS-Ausfall einjustierten Autopiloten und tuckerten geruhsam aber mit erhöhter Aufmerksamkeit weiter durch den Messinischen Golf in einen wunderschönen Morgen hinein. Mit Tagesanbruch wurde dann freundlicher Weise auch das GPS wieder eingeschaltet. Am 22. Oktober um 14:00 Uhr liefen wir dann in der Marina Kalamata ein. Es mutete uns an, als kämen wir nach Hause, während wir langsam durch den Hafen glitten. Von vielen Booten wurden freundliche Grüße gerufen, ein "Harbour-Guard" erwartete uns bereits am vorher per E-Mail reservierten und per Funk kurz vor dem Hafen verabredeten Platz (wenn möglich noch praktischer, wie im letzten Winter - Wohnmobil und Schiff liegen jetzt über Eck direkt nebeneinander). Direkt neben uns lag Erika aus der Schweiz mit ihrer schnittigen kleinen "Sadler". Auch zu ihr hatten wir bald einen herzlichen "Draht". Dass sie uns, als wir wenige Tage später unsere Unity auf Trockendock heben ließen, tatkräftig mithalf, den Rumpf abzuschrubben, soll an dieser Stelle mit einem besonders lieben "Dankeschön" hervorgehoben werden. Wir hoffen, wir können uns ein wenig revanchieren, indem wir im Winter auf ihr Boot aufpassen, während sie für einige Monate in der Schweiz ist.

Vor dem "Landgang" der Unity gab es noch eine überaus arbeitsreiche Woche: das Schiff sollte möglichst rasch für die Auswasserung bereit gemacht werden und das in Kalamata zurück gelassene Wohnmobil musste wieder hergerichtet werden für die Fahrt nach Deutschland. Das Erste, was uns ins Auge fiel, war, dass in unserer Abwesenheit jemand mit dem Wohnmobil ohne unsere Erlaubnis 105 Kilometer weit gefahren war. Wir hatten die Schlüssel dem (ehemaligen) Marinaleiter "zu treuen Händen" überlassen, falls das Wohnmobil im Weg stehen sollte. Der Knabe sitzt inzwischen im Gefängnis, weil er mit dem Schmuggel von einer Tonne Kokain (in Zeitungsberichten ist gar vor 4,5 Tonnen die Rede) in Verbindung gebracht wird. Ein Teil des "Stoffs" wurde in einer Yacht im Hafen gefunden, ein Teil war bereits bei Nacht und Nebel in zuvor angemietete Wohnungen transportiert worden. Mit welchem Fahrzeug??? Ich glaube, wir wollen das gar nicht so genau wissen... Ärgerlich sind jedenfalls einige Kratzer und sonstige "Gebrauchsspuren". Natürlich weiß in der Marina NIEMAND etwas Genaueres - wir sind schon froh, dass wir unsere Schlüssel wieder haben....

Dass der gesamte Stromkreis des Wohnteils nicht einzuschalten ging, wollten wir zuerst auch auf diesen Missbrauch des Mobils schieben, entdeckten dann jedoch Unglaubliches. Peter (ja - auch die CATS ist wieder da), half mir, alle Leitungen und Kontakte zu prüfen. Ohne Erfolg - alles in schönster Ordnung. In gelinder Verzweiflung öffneten wir zuletzt das gut gekapselte Schaltrelais. Dutzende kleiner Ameisenbabies kullerten uns entgegen. Eine verirrte Ameise hatte sich durch die doppelte (!!) Kapselung des Relais gezwängt und dann ausgerechnet im innersten Innern ihre Eier gelegt. Die lieben Kleinen schlüpften auch noch, verendeten aber wahrscheinlich wegen Nahrungmangels im Relais. Vorher schieden sie aber noch so viel Ameisensäure aus, dass alle Kontakte korrodierten und die Leitungsbahnen auf der Schaltplatte schlicht weggeätzt waren. Wer kommt denn auf so was? Wir waren negativ fasziniert. Peter konnte jedoch die Leitungen mit feinen Drähten überbrücken, die Ameischen wurden gnadenlos aus dem Relais gepult und danach funktionierte alles wieder tadellos.

Am Vortag unserer Abreise badeten wir noch mit Erika (s.o.) bei 30° im Meer, nachdem die Unity abgeschrubbt war. Pünktlich zur Abreise am nächsten Tag fiel dann das Thermometer und starker Wind kam auf. Wir nahmen Erika und ihr Fahrrad noch mit nach Patras, ihre Fähre ging um neuen Uhr abends, unsere um fünf Uhr. Auch wenn offiziell ab 1. November kein "Camping on Board" mehr angeboten wird, ließen uns die "ANEK"-Lines kulanterweise unser Wohnmobil auch während der Überfahrt benutzen - sogar inklusive Stromanschluss und heißer Duschen. Das ist nett - mit denen fahren wir wieder. Um 12:30 Uhr am nächsten Tag kamen wir in Ancona (I) an und setzten unsere Reise gen Norden gleich fort. Kurz vor dem Gotthard-Tunnel machten wir Rast, am nächsten Tag ging´s weiter durch die Schweiz - wir hatten uns mit Urs und Iris in Basel verabredet. Wer die Logbücher des letzten Jahres kennt, weiß, dass wir im letzten Jahr eine Strecke gemeinsam mit ihnen und ihrer "Samoa" gesegelt sind, woraus sich eine herzliche Freundschaft ergab. Die Beiden waren in diesem Sommer in der Türkei, also gab es manches zu erzählen.

Natürlich kamen wir auch ein wenig auf die Lage in Deutschland zu sprechen. Urs hat lange Jahre in leitender Position bei der Großbank UBS gearbeitet und entsprechend interessant sind seine gebildeten Einwürfe und Kommentare. Ich erlaube mir, einen Kernsatz aus dem Diskutierten sinngemäß zu zitieren: Die Verhältnisse in Deutschland und Europa lassen eigentlich keinen weiteren Politiker-Pfusch und machtgeiles Intrigieren mehr zu, die Zeit drängt viel zu sehr. -  Dass jedoch außer der Regierung Schröder & Co. und den Herren Merz und Koch (fast) keine Alternative in Sicht scheint, grenzt ans Desaströse. Auf Frau Merkel nehme ich bewusst keinen näheren Bezug, da ich an dieser Stelle weder in grobe Unflätigkeiten, noch in höhnische Sottisen, noch in persönliche Beleidigungen ausbrechen will. Die einzige eventuell denkbare Alternative, die mir einfällt, möchte ich nicht nennen, da sich der "junge Mann" aus dem Norden zur Zeit noch, teilweise fast auffällig betont, bedeckt hält. Er wird seine Gründe haben und braucht meine halbgare Promotion ganz sicher nicht. Thema Europaerweiterung: Urs sinngemäß: "Auch Deutschland, Frankreich, England waren einst "Erbfeinde" und kooperieren heute produktiv." Ich gab ihm recht, als mir in diesem Zusammenhang noch "weiter hinten" in der Geschichte die glücklich überwundene deutsche Kleinstaaterei einfiel. Aber beim Thema Türkei beharre ich einstweilen weiterhin auf den Bedenken, die aus Geschichte, religiösen Traditionen und den dadurch erwachsenen kulturellen Grundlagen und Wertvorstellungen entstehen. Wir beobachten selbst in Griechenland so vieles, was dem Kurzurlauber vielleicht verborgen bleibt, aber doch von einer gänzlich anderen (geistigen Nicht-) Entwicklung während der vergangenen Jahrhunderte spricht. Notabene: weder in Griechenland, schon gar nicht in der Türkei fand eine gewachsene geistige Entwicklung von Aufklärung über Protestantismus bis zu Humanismus statt. Ob man ohne diese Grundlagen sich so einfach in globalisierte "post-postmodernistische" Geisteshaltungen "einklinken" und zusammen mit "Europa" passende Antworten darauf finden kann, erscheint mir mehr als fraglich. Wer nur wirtschaftliche und politische Aspekte bei der Ausweitung Europas benennt, erscheint mir, pardon, als unsäglicher "Dünnbrettbohrer". Da ich aber zu der Ansicht neige, dass die Komplexität der Thematik durchaus bekannt ist, muss wohl, womöglich noch viel schlimmer, von denkfaulen Lügnern gesprochen werden, sobald das Thema in den Medien aufgenommen wird. Eine der wenigen rühmlichen Ausnahmen mit klugen, differenzierten Stellungnahmen (wenngleich sicher in einzelnen Aspekten durchaus diskussionswürdig): Altkanzler Helmut Schmidt.

Das Alles schreibe ich nun im ländlichen Harburg-Heroldingen. Auf die Obstbäume vor dem Fenster des mollig warmen Wohnmobils (vorübergehend nur "Büro") fällt leise der Schnee, das Ruderboot des Schwiegervaters liegt im Winterschlaf auf der Wiese neben dem Flüßchen Wörnitz. Wir genießen zur Zeit wirklich genüsslich Nebel und Kälte (in Verbindung mit dem gemütlichen "Landhaus" der Schwiegereltern...) - das kann nur verstehen, wer einen Sommer im gnadenlosen "Licht" Griechenlands verbracht hat. In drei Wochen geht´s aber nach etlichen Besuchen und Besorgungen quer durch Deutschland und Österreich doch wieder zurück nach Griechenland - und, ja, auch darauf freuen wir uns wieder.