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Eigentlich wollten wir in Kos nur kurz Zwischenstation machen, aber die Wetterverhältnisse in diesem Teil der Ägäis machen "eigentlich" zu einem Hauptwort - wir beobachten den Wind (Bft. 6-7) und die Welle (1,5 m) und bewegen uns vorerst nicht vom Fleck. Ein paar schöne Tage auf See brachten uns hier her und da wir noch reichlich Zeit haben, warten wir eben ab, bis uns die Bedingungen für eine Weiterreise Richtung Rhodos zusagen.

Vom Haupthafen Lakki auf Leros umrundeten wir mit einem kleinen Schlag von 10 Seemeilen eine Halbinsel, um in eine kleine Bucht im Süden der Insel zu kommen, die gerade mal 2 Seemeilen Luftlinie von Lakki entfernt liegt. Der kleine Hafen von Xirokampos (Bild o.) war, wiewohl deutlich sichtbar ursprünglich mit allen Versorgungsmöglichkeiten für Yachten konzipiert, lückenlos von einheimischen Fischern annektiert. Ob EU-Gelder geflossen sind, damit die Fischer für ihre Boote einen Yachthafen bekommen, halte ich für äußerst fragwürdig. Die Yachten wiederum durften sich nun eben in der Bucht vor dem Hafen an einigen Bojen festmachen. Diese immerhin kostenlos und wie ich mich bei einem Tauchgang vergewissern konnte, mit vertrauenerweckend dimensionierten Betonblöcken gesichert, was meinen Unmut über die Hafenbelegung dann wieder etwas besänftigte. Es war der Abend vor dem Fest der Himmelfahrt Mariens und um dem Himmel ebenfalls etwas näher zu sein, erklommen wir die auf den Resten einer Festung hoch über dem Ort gelegene Kapelle, genossen den herrlichen Ausblick und ließen uns zusammen mit den Einwohnern des Ortes von den Popen etwas vermutlich sehr heiligmäßiges vorsingen. In einer größeren Taverna direkt an der Bucht absolvierte einstweilen eine Musikcombo ihren Soundcheck - uns schwante Fürchterliches. Aber gegen Agia Maria kann man wohl nichts einwenden - das muss gefeiert werden.

Um halb zwölf begaben wir uns zu Bett, während oben in der Kirche noch immer gesungen wurde. Irgendwann nach zwölf Uhr legte dann wohl die Combo los, was von mir jedoch erst morgens um halb fünf registriert wurde. Da mir klar war, dass vorerst doch keine Chance bestehen würde, wieder einzuschlafen, setzte ich mich dick eingepackt und mit einem Bier bewaffnet auf die taufeuchte Heckterrasse. Die Musik war gar nicht mal so hässlich - abgesehen davon, dass sie wieder einmal in einer Lautstärke dargeboten wurde, die mir und meinem delikaten Mittelohr, wäre ich direkt in der Taverna gesessen, Schwindelgefühle und Übelkeit erzeugt hätte. Aus der Distanz einer halben Seemeile blieben grade mal doppelt so viele Dezibel dessen übrig, was ich gemeinhin als "Zimmerlautstärke" definieren würde - noch immer üppig, aber zur Not erträglich. Die Weisen waren überwiegend traditionell-griechisch-rustikal, das einzig Störende war die Besetzung der Combo, die neben den tradierten Saiteninstrumenten aus einem Synthesizer und einem modernen Schlagzeug bestand. Ursprünglich wird für griechische Tänze und Lieder aber ein Bandoneon zur Begleitung eingesetzt und vielleicht noch ein Tamburin. Das Bandoneon ist viel lebendiger im Klang als ein Synthesizer, es "atmet" differenziertere Nuancen in der Phrasierung und ein Tamburin kracht nicht so brachial in die Melodieführung wie ein Schlagzeug. Schade... Nach einer halben Stunde war dann offensichtlich Feierabend und ich konnte wieder in die Koje kriechen.

Am nächsten Morgen brachen wir auf zu einem kurzen, relativ ruhigen Schlag unter Segeln nach Süden zur Insel Kalymnos. Wir hatten uns einen kleinen Hafen an der Westküste der Insel als Zwischenstop auf dem Weg zum Haupthafen ausgesucht. Aber bereits bei der Ansteuerung wurde uns klar, dass es in diesem Hafen wohl auch wieder keinen Platz für uns geben würde. Vor der gegenüber liegenden Küste des nur eine halbe Seemeile entfernten Inselchens Telendos sahen wir jedoch eine Yacht schwojen. Die Meerenge zwischen den beiden Inseln (oben die Ansteuerung zum Eingang) schien genügend Schutz zu bieten, also inspizierten wir die Lage - und konnten wie in Xirokampos an Mooringtonnen festmachen. Diese waren allerdings so eng gelegt, dass bei Windstille die Gefahr bestand, dass die Boote gegenläufig auf einander zu trieben. Wir hofften auf etwas Wind und blieben. Beim Abendspaziergang auf der landschaftlich reizvollen Insel begegneten uns plötzlich im abendlichen Dämmer äußerst seltsam und mystisch anmutende übermannshohe Kultzeichen, die kreisförmig um den Gipfel eines Hügels drapiert waren:
Unweit davon ein Schild: Frühchristliche Nekropole (gemauerte Grabstätten). Eine kulturhistorische Sensation: die frühe Christenheit betrieb bereits formale Experimente mit Weichspüler-Flaschen! Das Rätsel löste sich alsbald teilweise bei der Ansicht einiger tonnenbedachter Häuschen in verschiedenen Verfallsstadien. Bemerkenswert erschien uns hier nun, dass die frühen Christen offensichtlich ihren teuren Verblichenen immerhin bequeme Sitzgelegenheiten auf den Weg ins Jenseits mitgaben:
Die Geologie von Telendos erzählt jedoch auch sehr anschaulich eine Geschichte, die in einer Zeit spielt, in der Menschen auf diesem Eiland noch nicht allzu viel zu melden hatten: Deutlich ausgebildete Vulkankrater und schwindelerregend abfallende Buchteinschnitte lassen auf äußerst bewegte Zeiten schließen:
Wir hatten Glück - obwohl gegen Morgen eine Flaute eingesetzt hatte, hatten die Unity und die beiden Nachbarboote es vorgezogen, in etwas Distanz voneinander zu verweilen. Bevor sich daran etwas änderte, legten wir umgehend ab, um den kleinen Rest der Strecke zum Haupthafen von Kalymnos zu absolvieren.

Überraschend bei der Ansteuerung von Kalymnos ist die Größe der Stadt auf einer so kleinen Insel. Immerhin 10.000 Einwohner leben hier und der Hafen ist recht gut frequentiert von Fähren, Frachtern, Fischern und dazwischen auch einer ganz ansehnlichen Zahl von Yachten. So städtisch trist die Stadt sich von weitem gibt, so hübsch präsentiert sie sich rings um den Hafen. Viele Gebäude verweisen auf die italienische Besatzung der Insel zwischen 1912 und 1948, ein Stil, den man als "italienisches Bauhaus mit orientalischen Einschlägen" bezeichnen könnte und der in dieser Zeit (ohne orientalische Einschläge) sehr ähnlich auch in Deutschland angewandt wurde:

Beim abendlichen Spaziergang kamen wir in einer Altstadtgasse leider wieder einmal mit einer besonderen Spezialität der griechischen Fauna in Konflikt: der hellenisch-heroischen Kampfkatze, Felida Bellicosa. Ein Mistvieh dieser Gattung hing im Sommer 2004 Elisabeth am Bein, was ihr schmerzhafte Entzündungen einbrachte. Dieses Mal stand ich in vorderster Reihe (Pia war wohl das eigentliche Ziel des Angriffs), als das heimtückische Raubtier zum Sprung ansetzte und so gruben sich seine Krallen eben mit voller Kampfkraft in mein linkes Bein, das umgehend anfing zu bluten, als ob mich ein Säbelzahntiger angefallen hätte. Ich ließ es bluten - das beste Mittel, eingeschleppte Bakterien schnellstmöglich wieder los zu werden und weiße Blutkörperchen zur Infektabwehr zu aktivieren. Durch die Nachbehandlung mit antibiotischer Salbe blieb mir so wenigstens eine Entzündung weitgehend erspart. Wir haben in Griechenland Katzen erlebt, die vier ausgewachsene Hunde in die Flucht schlugen und hoffen, dass unsere Pia beide Augen behält bis zum Abschluss unseres Griechenlandaufenthalts.... Unten noch einige erfreulichere Eindrücke der Altstadt inklusive der kleinen Meerjungfrau aus Bronze, die tagsüber in den Hafen einlaufende Schiffe begrüßt und die wir abends ertappt haben, wie sie heimlich mit dem Mond Ball spielte:
Eigentlich hätte uns Kalymnos ganz gut gefallen, aber der Ankergrund hielt nur sehr dürftig, wovor auch schon im Hafenführer gewarnt worden war. Einem seitlichen Starkwind, wie er bereits für die nächsten Tage angesagt war, wollten wir damit nicht begegnen. Also brachen wir vor Einsetzen dieses Windes (und der damit verbundenen Welle) am nächsten Morgen auf, um mit gutem Segelwind zur Insel Kos überzusetzen.

Hier liegen wir nun im geschäftigen Haupthafen, die mächtige Festung der Johanniter hinter dem Heck und vor uns jenseits des Hafenbeckens in lärmreduzierendem Abstand die Halligalli-Meile dieses durch und durch massentouristisch geprägten Ortes. Klingt schlimmer, als es sich anfühlt. Es gibt viele (im Gegensatz zu Pythagoreio) wirklich interessante Baudenkmäler und Ausgrabungen zu besichtigen, wir haben (leider relativ teuer) Wasser und Strom, der Ankergrund hält ordentlich und fast jeden Tag haben wir rechts und links neue Nachbarn, die sich überwiegend als recht nett erweisen - vor allem, wenn wir ihnen bei ihren durch den starken Seitenwind doch etwas schwierigen Anlegemanövern tatkräftig beigestanden sind. Eine Crew, die neben uns anlegen wollte, war so hoffnungslos quer vor die anderen Boote getrieben, dass ein Fortkommen aus eigener Kraft nicht mehr möglich war - Leinen und Ketten befanden sich zwischen Kiel und Propeller. Die einzige Möglichkeit, die Yacht wieder flott zu bekommen, bestand darin, das Heck mit dem Dingi seitlich weg zu ziehen. Elisabeth bot dies auch an, die Herren der (italienischen) Crew gaben jedoch auf das Urteilsvermögen einer Frau keinen Pfifferling, hingen dadurch eben weiterhin in den Seilen - und setzten ihr "typisch" südländisches Endlospalaver fort. Daraufhin übernahm ich das Dingi - wir wollten endlich wieder an unsere wegen des Anlegemanövers unterbrochene Arbeit - und setzte meine in vielen Jahren Krankenhausarbeit geübte Vorgehensweise ein: "Freundlich, aber bestimmt". Ohne mich an dem Palaver der Crew zu beteiligen, bat ich knapp um eine Leine, gab Gas und nach drei Minuten war die Kiste zum freudigen Erstaunen der Crew frei und unser "Weinkeller" war wieder (nicht zum letzten Mal in diesen Tagen) um eine Flasche reicher. Nordlichter mögen zwar nicht so schick angezogen sein, unser Charme wirkt zuweilen etwas hölzern und unsere Sprache klingt nicht so elegant wie perlendes Italienisch - aber in Sachen Pragmatismus können wir im direkten Vergleich durchaus punkten, wenn ich das an dieser Stelle nach den Erfahrungen und Beobachtungen der letzten Jahre so selbstbewusst anmerken darf. Auch ansonsten gibt es genügend Gelegenheiten, sich ein wenig nützlich zu machen: Ob es das "Durchmessen" zweifelhafter Stromanschlüsse, das Aushelfen mit passenden Adaptern, das Sichern von Booten bei ausgerissenem Anker in Abwesenheit der Crew oder einfach die tatkräftige Hilfe beim Anlegen betrifft. Zumeist wird uns dann herzlicher Dank zuteil. Ausnahme, obwohl wir ihr Boot vor größeren Schäden bewahrt haben: eine deutsche Crew .....

Oben ein Bild der gegenüberliegenden Hafenseite. Eine riesige Armada von Ausflugsbooten jeder Art und Größe (im Bild nur ein Teil der Schiffe) steht bereit, um wahre Menschenmassen am Morgen aufzunehmen und abends nach einem "Day Trip" in die Türkei oder zu den Nachbarinseln wieder abzusetzen. Kos ist eine reibungslos funktionierende Tourismusmaschine. Schon bei der Ansteuerung präsentiert sich die Stadt mit Tausenden von Liegestühlen und Sonnenschirmen auf langgezogenen Stränden vor dicht an dicht gebauten "Bettenburgen". Das Toremolinos der Dodekanes. 

Betritt man abends hinter der rechten Seite des Hafens die "Neustadt", ahnt man, wie der Tagesablauf des überwiegenden Teils der zigtausend Touristen aussieht: tagsüber an den Stränden gegrillt werden, um Kraft für "die Piste" zu sammeln, die mit Hunderten von Klamotten-, Nippes- und Spirituosen-Shops und einfachen bis mittelklassigen Tavernas, Bars und Amüsierschuppen bis in die frühen Morgenstunden "durchbrummt". Als Highlight dann vielleicht mal ein Tagesausflug mit einem "Daytripper". Die weitläufigen Ausgrabungsfelder, die überall in der Stadt verteilt sind, bleiben zumeist leer (was den Ausgräbern vermutlich gar nicht mal so unrecht sein dürfte).

Da wir weiterhin von Wind und Welle in Beugehaft gehalten werden, beugten wir uns eben der solcherart rohen Gewalt und besuchten doch einige dieser Steinhalden, allerdings erst nach dem Pflichtprogramm "Johanniterfestung". Diese liegt ja wenige Meter hinter unserem Boot, zwei mal drei Euro Eintritt, der Hund war frei.

Beim Besuch des Kastells wandert man quer durch die Geschichte der Insel: Die braven Rittersleut verbauten alle Überreste, die von früheren Kulturen in der Stadt herum lagen. Also bestehen die Mauern aus marmornen Säulenteilen und Friesen, sowie sonstigem "Steingut" jeglicher Größe und Art.
Überall sind Marmorfragmente aufgereiht, welche die Mauern freigaben, als sie durch die Einwirkung von Kriegen und Erdbeben im Lauf der Zeit wieder zusammenfielen. Seit geraumer Zeit wird das Zeug nun nicht erneut verbaut wie in den Jahrhunderten dazwischen (diesmal in Privathäuser), sondern alles wird fein säuberlich geordnet und so sehen viele Ecken des Festungsareals aus wie ein Ersatzteillager der Geschichte (rechts eine Besucherin aus D., angesichts der Fülle antiken Schrotts in fassungsloses Staunen versunken - man beachte den Rucksack zur eventuellen Aufnahme von als Briefbeschwerer, Reisemitbringsel oder Kaminnippes zu verwendenden Souvenirs (by the way: das war ein Scherz - auf den Diebstahl antiker Steine wird (zu Recht) sehr humorlos reagiert. Es drohen in Griechenland für solche Kavaliersdelikte hohe Gefängnisstrafen, egal wie achtlos ansonsten teilweise mit dem Material umgegangen wird ...).

Anschaulich kann an den Reliefs studiert werden, wie verschiedenste Viechereien von den antiken Bildhauern in teilweise sehr putziger Form als Vorlage für ihre Verzierungen herangezogen wurden (Vögel waren anscheinend formal und/oder thematisch suspekt):
Überwiegend war der Hausschmuck jedoch harmlos floraler Natur:
Der Blick auf eine Sammlung von Kanonenkugeln zeigt, dass den Kreuzrittern unter dem Banner des Apostels Johannes der Begriff "Kaliber" noch völlig fremd gewesen sein muss. Offensichtlich wurde alles, was rund und schwer war, ins Rohr gestopft und auf den bösen Feind abgefeuert. Wie die Geschichte so spielt - vom einst mächtigen Kastell mit den Ausdehnungen einer "Stadt in der Stadt" sind fast nur noch die Begrenzungsmauern übrig, der einstmalige Feind grüßt jedoch wie ein siegreiches Fallussymbol durch die mittlerweile unbewaffnete Schießscharte, während türkische Güllets sich in aller Ruhe vor den Mauern im ehedem wild umkämpften Hafen ausbreiten. Sic transit gloria mundi .... oder so ...

Von 1522 bis 1912 schwangen die Türken ihr Krummschwert über der Insel, was an vielen Gebäuden ersichtlich ist (die jedoch überwiegend aus durchaus nachvollziehbaren Gründen von den Griechen nicht besonders liebevoll erhalten werden). Bis 1948 meinten dann noch die Italiener, Kos könnte ganz gut in ihre Inselsammlung (Korfu, Kalymnos, Nisyros u.v.a.) passen, danach wehte auch hier das Cross&Stripes-Banner in Bayerisch-Weißblau. Aber noch immer könnens die Römer nicht so ganz fassen, dass sie ihres Miniimperiums verlustig gegangen sind und schauen regelmäßig nach, ob nicht doch noch was zu holen wäre: das Aufkommen italienischer Segler in dieser Gegend ist signifikant..... (vielleicht auch nur, weil aus der Besatzungszeit manche Griechen noch ein wenig Italienisch können und viele Italiener des Englischen nur bedingt (noch etwas bedingter als die Franzosen - und das will was heißen...) oder gar nur äußerst rudimentär mächtig sind).

Danach wurden wir doch noch wortbrüchig - entgegen meinem einige Logbuchseiten zuvor gegebenen Versprechen, keine antiken Ausgrabungen mehr zu besuchen. Aber erstens liegen sie hier in großer Fülle direkt neben der "Haustür" und zweitens sind sie teilweise wirklich interessant. An meine Empfehlung anlässlich der "Antiken-Verweigerung" habe ich mich aber auch selbst gehalten und mir noch einmal ein wenig vergegenwärtigt, was hier einstmals im geistigen Sinn fabriziert wurde und passierte. Es ist erstaunlich aktuell, daher gebe ich hier ein paar nach meinem Dafürhalten erwägenswerte Gedanken zum Besten, während ich dazu einlade, auf einen kleinen Gang über die Ausgrabungen mitzukommen.
Das Erste, was mir bei meiner Lektüre ins Auge fiel, war die Tatsache, mit welcher Nüchternheit die sogenannten Pythagoreer, also die Denkschule des legendären Pythagoras (s. Insel Samos) spirituelle und faktische Erkenntnisse für ihre Thesen verbanden. Es gab bei allem Götterolymp bereits die Idee eines Monotheismus, der jedoch sehr abstrakt als über allem stehende Kraft und allumfassendes Gesetz verstanden wurde und sinniger weise namenlos blieb. Irgendwelche Populisten mussten bei der Entwicklung der jüdisch-christlichen Religion unseren "Gott" aber nicht nur benennen, sondern auch gleich noch personalisieren. Ein verhängnisvoller Fehler, der auch durch das eilig nachgeschobene Gebot, den Namen Gottes "nicht vergeblich im Munde" zu führen nicht wirklich ausgebügelt werden konnte. Auf diese Weise konnte ein (pardon) brunsdummer russischer Astronaut nach seiner Rückkehr aus dem All ganz realsozialistisch linientreu zu Protokoll geben, er sei da oben die Kreuz und die Quere herumgefahren und habe keinen Gott gesichtet. Eine gewisse deutsche Theologin (Dorothée Sölle) konnte dann wenige Jahre später wichtigtuerisch vom "Tod Gottes" schwadronieren. Genauso gut hätte sie behaupten können, die Gesetze der Schwerkraft hätten ihre Gültigkeit nach dem Tode Newtowns wieder eingebüßt.
Schon Platon, um wieder in die Antike zurück zu kehren, tadelte die Dichter seiner Zeit für die Vermenschlichung der Götterfiguren in ihren Hervorbringungen, da er die Figuren nur als Sinnbilder für bestimmte abstrakte Prinzipien begriff. Wenn das seit nunmehr 2420 Jahren Konsens ist, warum predigt dann noch immer ein Papst einer halben Million Jugendlicher, die auf der Suche nach spiritueller Wegweisung zu ihm kommen, einen personifizierten Gott? Dafür sollte er nach meinem Dafürhalten mit allen Mitteln der von ihm bisher geleiteten "Heiligen Inquisition" gepiesackt werden. Er macht es den jungen Menschen schlicht unmöglich, diese Lehre ihr Leben hindurch als Maßstab ihres Handelns beizubehalten, da sie in dieser Form für das durchschnittliche Bildungsniveau der Menschen unserer Zeit schlicht zu dämlich formuliert ist - in Sachen Allgemeinbildung hat sich in den letzten 2000 Jahren einiges getan, was die Kirchen jedoch hartnäckig zu ignorieren versuchen, um eine zeitgemäße Weiterentwicklung ihrer Lehren zu vermeiden. Außer lächerlich populistischen Bikergottesdiensten, Haustiersegnungen und anderem Schnickschnack ist keine Modernisierung in Sicht. Das Wort bleibt "stahn", wie sich das Gevatter Luther ausbat, in dieser Forderung seine geistige Abstammung von der einzigen christlichen Konfession, die sich als "ewig" tituliert (was eine Anmaßung) nicht verleugnend. 
Was heute stattdessen in der Gesellschaft stattfindet, hat ebenfalls seine Entsprechung in der Antike und forcierte schon damals den Untergang einer Kultur: Die philosophische Schule der Sophisten entwickelte ein "radikal-pragmatisches" Denksystem, in dem weder Spiritualität noch Idealismus Raum erhielten. Eine Philosophie gnadenloser Alltagsbrauchbarkeit, gepaart mit einer Vorform von Sozialdarwinismus und einem zynisch-glatten Skeptizismus gegen jede Form von Werten. Es etablierte sich daraus folgend ein explizit von schierem Eigennutz diktierter amoralischer Opportunismus. Studenten wurden darin trainiert, wie ein Argument in einer Weise aufgebaut werden konnte, die erlaubte, jeden Standpunkt eigenen, subjektiven Interesses scheinbar plausibel zu verteidigen - ohne Rücksicht auf irgendwelche tiefergehenden Beweggründe oder der Anerkennung einer ethisch richtungsweisenden Instanz..
Die Folge war eine zunehmende Verschlechterung des politischen und moralischen Klimas in Athen. Es entstand eine Krise der Demokratie, die sich in wachsendem Maße als unbeständig und korrupt entpuppte (nett zu lesen in Zeiten fingierter Misstrauensvoten, aktueller Korruptionsskandale und Insidergeschäfte). Eine rücksichtslose Oligarchie übernahm die Macht, die aus kultureller Überlegenheit erwachsene Vormachtsstellung Athens wurde zu einem System der Tyrannei, aus Arroganz wurden Kriege begonnen, die in immer neuen Katastrophen endeten. Die skrupellose Verletzung selbst grundlegender ethischer Maßstäbe gehörte zum Alltag. Die Sophisten besorgten mit ihrer philosophischen Verneinung absoluter Werte und ihrem Lob des Opportunismus den Treibsatz, der diese Entwicklung immer weiter beschleunigte.
Das alles ist aus unserem zeitgenössischen Alltag nur allzu bekannt. Menschen, die in Talkrunden schamlos versuchen, mit bei genauerer Analyse teilweise haarsträubenden Argumenten auch den dümmlichsten und in seiner egoistischen Zielsetzung amoralischen Standpunkt "plausibel" zu verteidigen. (In meinen Augen ein Meister scheinheiliger, eitler Verlogenheit in diesem Zusammenhang ist ein gewisser Herr Lafontaine). Ein solcher Verbalzynismus bereitet den Weg für eine Bereicherungsethik ohne die Spur einer auch nur sozialen Kompetenz. Der Ersatz eines echten Wertekanons durch das glanzvolle Zelebrieren materialistischer Weihehandlungen beschreibt A. Greenley in "Myths, Symbols and Rituals in the Modern World": "Man muss nur eine der jährlich wiederkehrenden Automobilausstellungen besuchen, um darin eine höchst ritualisierte religiöse Manifestation zu erkennen. Die Farben, die Lichter, die Musik, der Kniefall der Anbeter, die Gegenwart der Tempelpriesterinnen in der zeitgemäßen Form von Mannequins, der Pomp, der Luxus, die Geldverschwendung, die kompakte Menschenmenge - das alles trägt die Merkmale eines authentischen Gottesdienstes. Und in diesem Augenblick des jahreszeitlichen Zyklus erhalten die Hohepriester des Kults, die Autohändler, Designer und Manager, ihre überragende Bedeutung während eine ängstliche Menschenmenge ungeduldig der Heraufkunft einer neuen Form des Heils harrt." (Cebit und Buchmesse taugen zu ähnlichen Übungen).
Und nun muss das Volk wie jüngst im Falle Volkswagen desillusioniert erkennen, dass selbst diese talmiumrankte Ersatzreligion zerfällt: die Priester sind korrupt und käuflich, es werden Huren eingeflogen, um Geschäftspartner zu schmieren, anstatt dass "saubere" Handelsabschlüsse getätigt werden. Die Unterkunft des Goldenen Kalbs erweist sich als Augiasstall. Prof. H. Schnädelbach schreibt in der ZEIT: "Die Moderne ist durch einen "Verlust der Mitte" gekennzeichnet; sie hat kein kulturelles Zentrum mehr, das einmal die Religion ausmachte." Er spricht angesichts des Katholischen Weltjugendtages von einer "Wiederkehr der Religion als bloße (eklektizistische - Anmerkung von mir) Religiosität". Wie sollte es auch anders sein, bei diesem unzeitgemäßen Angebot? Ratzingers Schlagwort zum Event ist so dünn wie die Form der Lippen, mit denen er es fistelte: "Religion macht halt einfach Spaß". Na dann - gib Gas, Benedikt..... Gloria in excelsis....
Seit nunmehr zehn Jahren heißt das neue Amulett der Medienkonsum-Kultur "iPod". Wie sehr diesem Objekt eines vermeintlichen Heils Erlösungsqualitäten zugeschrieben werden, zeigt sich darin, dass dieser elektronische Walkman im Juli dieses Jahres genügend Anlass für einen Mord in einer New Yorker U-Bahn bot. Der Hype rund das Gerätchen befeuert den Kult fleißig - Zitat aus einer Betriebsanleitung: "iPod-Benutzer sehen immer so glücklich aus! Dieses Buch zeigt Ihnen, wie auch Sie dieses innere Leuchten erreichen und den iPod-Lifestile ausleben können". (Ganz nebenbei: das ist bitteschön ein relativ simples Speicher- und Abspielgerätchen für Musikdateien. Wenn der Nutzer denn lächeln sollte, dann wegen des Speicher-Inhalts, den kreative Künstler entwickelt haben, nicht wegen der Konserve, in der er aufbewahrt wird).
Es soll an dieser Stelle ganz sicher keine pauschale Konsumkritik geübt werden, das wäre lächerlich und verlogen angesichts der Tatsache, dass ich diesen Text auf einer Segelyacht sitzend in einen teuren Laptop tippe. Aber bedenkt man die Entwicklungen in der Athener Gesellschaft vor 2400 Jahren und ihre zeitgenössische Entsprechung in unserer Kultur, ist es äußerst bedenklich, wenn die "Verklärung von Konsum- und Luxusgütern zur Lebensnotwendigkeit" (J.v.Rutenberg in der ZEIT) nicht nur "viel zu weit geht", sondern eine krasse Überbewertung der Äußerlichkeiten auf Kosten wirklicher Werte feiert. War nach der Zeit des "Wirtschaftswunders" der ideologisch motivierte Konsumverzicht angesagt, ist der Konsum selbst mittlerweile zur kaum noch hinterfragten Ideologie und mit Pomp zelebrierten Ersatzreligion mutiert. Und ich postuliere auch an dieser Stelle, dass die Defizite der spirituellen Institutionen unserer Kultur ein gut Teil schuld an dieser Entwicklung sind. Ihre "Produkte" taugen in der derzeitigen Form immer weniger als Grundlage einer Lebensführung. Also kommt nur noch die "Light-Version" zum Einsatz. Noch einmal Herbert Schnädelbach: "Wenn Religion nur in der Form wiederkehrt, dass alle wissen, wozu sie gut wäre, um sie dann in maßgeschneiderter Form einzusetzen, bestätigt sich nur, wofür alles spricht - dass wir hier im Westen in Wahrheit bereits in einem postreligiösen Zeitalter leben."

Technischer Hinweis zu den Mosaikbildern: ich habe sie so gut es ging auf verschiedenen Ausgrabungsfeldern abfotografiert. Erschwerend für gute Aufnahmen war, dass die Mosaiken von einer dicken Sand- und Staubschicht bedeckt waren, ich nur schräg über Absperrungen hinweg fotografieren konnte und sich die Lichtverhältnisse durch starke Licht- und Schatten-Unterschiede eher "suboptimal" gestalteten. Ich musste alle Register meines Graphikprogramms ziehen, um aus den Originalaufnahmen (oben rechts) etwas heraus zu arbeiten, was zumindest einen ungefähren Eindruck von der Schönheit der Mosaiken vermittelt.

 

Warum dies nun in unserer Kultur, unserem Zeitalter plötzlich zu etwas Gutem führen soll, könnte mir zwar (nur zum Beispiel) Herr Sloderdyk (noch so ein rhetorischer Argumentationsakrobat) umgehend erklären, wenn er denn so altruistisch wäre, sein wertvolles Wort an mich zu verschwenden. Ich würde jedoch unter Umständen nur dasitzen und an ein dickes Insekt denken: Die Hummel fliegt fröhlich durch die Gegend, obwohl jeder Wissenschaftler problemlos nachweisen kann, dass dies absolut nicht möglich ist. Nett, welche kleinen Botschafter die Natur bisweilen dazu benutzt, dem "Dichten und Trachten" der Menschen .... die Zunge rauszustrecken. Wie viele Kulturen müssen sich eigentlich noch unter aktiver Selbstbeteiligung in den Müllkasten der Zeitläufte katapultieren, bis auch nur die relativ einfache Geschichte vom "Goldenen Kalb" begriffen wird? Seit nahezu zweitausend Jahren sind "unsere" Kirchen im Besitz dieser Geschichte und waren offenbar nicht fähig, ihre Empfehlungen so zu interpretieren und etablieren, dass in unserer Kultur plastisch und eindrücklich begriffen wird, welche Entwicklungen sie (und die Gesellschaft, die von ihr lebt) vielleicht irreparabel schädigen. Im "alten Griechenland" wurden die Götter "vermenschlicht" und verniedlicht, bis die von ihnen symbolisierten Prinzipien keinem mehr etwas sagten und sich in der Folge ein destruktiver Materialismus ohne Wertebasis ausbreitete. Wie wäre es, wenn wir doch ein wenig bereit wären, aus nachweislich stattgefundener Geschichte und ihren offensichtlichen Parallelen etwas zu lernen, um noch größere Schäden zu verhindern?