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Hohe Wellen donnern vom Golf in den Hafen von Kiato (unten) - wir liegen im "Schatten" der Hafenmauer (oben).

 

 

Insel Trizonia - 10. Oktober 2005

 

Mittlerweile sind wir auf der kleinen Insel Trizonia im Golf von Korinth gelandet, vorher galt es jedoch noch ein paar Starkwindtage im nur mäßig geschützten Hafen von Kiato "abzufeiern:

 

nventarliste: ein riesiges Hafenbecken, zwei Yachten, einige Angler. Der Hafen von Kiato wurde offensichtlich für größere Vorhaben geplant, die jedoch dann ebenso offensichtlich nie realisiert werden konnten. Wir haben hier noch nie einen der Großfrachter, für die der Hafen ursprünglich konzipiert wurde, gesichtet. Nicht einmal die im Hafenplan eingezeichnete Fähre verkehrt. Vermutlich würde sie spätestens seit Fertigstellung der großen Brücke in Patras auch keinen Sinn mehr machen, vor allem da an der gegenüberliegenden Festlandsküste keine Städte in nennenswerter Größe liegen. Als wir im letzten Jahr hier anlegten, gab es noch eine Port Authority, die ihre Daseinsberechtigung dadurch zu sichern versuchte, dass sie mit großem Eifer alle anlegenden Yachten in ihr Büro zitierte. Inzwischen scheint die Hauptverwaltung erkannt zu haben, dass es keinen Sinn macht, ein Hafenamt mit (soweit wir gezählt haben) sechs Beamten in einem Hafen zu postieren, in dem außer ein paar wenigen Seglern auf Durchreise absolut nichts los ist: Kein Officer weit und breit.

Kiato: das riesige Hafenbecken (oben) und das Panorama auf der gegenüber liegenden Hafenseite mit aufkommendem Wetter  

Also lagen wir, zusammen mit einem englischen Einhandsegler auf seinem (vor dreißig Jahren selbst gebauten) Ferrozement-Boot in schönstem Frieden längsseits am Pier. Es sollte laut Vorhersage in den nächsten Tagen etwas Starkwind geben (was dann auch so eintraf), weshalb wir beschlossen, ein paar Tage zu bleiben. Da das Hafenbecken nach Süden keinen und nach Osten nur bedingten Schutz bietet und sich dann recht hoher Schwell im Hafenbecken bilden kann, waren bei angesagtem Ostnordost ein paar Sicherheitsmaßnahmen in Form eines Systems aus gut gelegten Springs angebracht. Der Laie kann sich darunter wahrscheinlich nicht viel vorstellen, daher ein paar Worte dazu, da ein gut verlegtes System von Springs aus dem bloßen Festmachen eines Bootes ein kybernetisches Kunstwerk macht.

In der überwiegenden Zahl der Fälle werden Boote festgemacht, wie sich das auch der Laie vorstellt: vorn und hinten eine Leine vom Schiff zum Land und fertig. Das Schiff wird am Pier gehalten und sofern der Wind es etwas vom Pier wegdrückt (also "ablandig" weht), kann man damit leben. Schwappt nun aber in den Hafen etwas Welle, wird das Schiff ständig zwischen den Leinen vorn und hinten hin und her bewegt und ruckt am Ende jeder Bewegung in den durch die Leinen vorgegebenen Endpunkt ein. Wer sich auf dem Schiff befindet, bekommt so alle paar Sekunden einen Stoß verpasst, was unangenehm, wenn nicht bei höherer Welle gefährlich werden kann. Um dies zu vermeiden, erhält das Schiff zwei Mittelsprings (es gibt noch einige andere Systeme, die je nach Situation, Gusto des Skippers und Bootstyp differieren). Diese Springs fangen die Bewegung des Schiffs ab und wandeln sie zu einer leichten Drehung um. Das "Einrucken" vermindert sich spürbar, vor allem, wenn für die Springs etwas dünnere, elastische Seile verwendet werden. 

Mit diesem System können nun die Schiffsbewegungen stufenlos justiert werden. Die Mittelsprings werden dabei etwas mehr wie die ursprünglichen Halteseile gespannt, sodass letztere fast nur noch eine Sicherungsfunktion haben. Oft lässt jedoch der Wind nach, während der "Schwell" im Hafen noch einige Zeit erhalten bleibt, oder der Wind dreht gar, sodass das Boot plötzlich gegen das Pier gedrückt wird. Das Springsystem kann nicht mehr arbeiten und die Fender reiben an der Pier und am Boot, was weder dem Boot noch den Fendern besonders gut tut. Für diesen Fall wird nun zusätzlich mit dem Dingi zur Wasserseite hin ein Seitenanker ausgebracht, dessen Leine mit einer zweiten Leine ein "Y" bildet und damit an Bug und Heck des Schiffs festgemacht werden kann. Mit diesem "Y" kann nun das Boot nicht nur vom Pier abgehalten werden, sondern die beiden Leinen können zusätzlich so justiert werden, dass die Bewegungen des Bootes harmonischer werden. 

Es ist für mich immer wieder faszinierend, diesem System, wenn es gut justiert ist, bei der Arbeit zuzuschauen. Durch ständiges Anspannen und Lockern der einzelnen Komponenten erlaubt es dem Schiff auch bei ruppigerem Schwell, sich weich und ruckfrei zu bewegen. Bei besonders heftigem Schwell im letzten Jahr habe ich abends bis zu hundert Lastwechsel pro Minute gezählt - während Elisabeth bereits wie das sprichwörtliche Murmeltier in der Vorschiffkoje schlafen konnte anstatt herumgeworfen zu werden. Sehr oft lege ich inzwischen auch beim Anlegen vor Buganker rechts und links eine elastische Spring. Wenn wir Nachbarn haben, wird mit einer zusätzlichen kurzen Leine eine "Ecke" eingebaut, die Wirkung ist dann sogar fast noch besser. Der Anker wird bei seitlichem Wind nicht so stark belastet, auch die Leinendurchführungen und Klampen am Heck werden entlastet und das Boot bewegt sich spürbar ruhiger. Die zusätzliche Arbeit ist in wenigen Minuten getan und lohnt sich unbedingt.
Gestern nutzten wir dann jedoch die Gelegenheit, dass der Starkwind für einen Tag Pause machte und flohen aus dem östlichen Teil des Golfs, der mitunter noch von Ausläufern des Meltemi attackiert wird, nach Westen. Über dem Golf bot der Himmel im Licht des frühen Morgens ein schaurig-schönes Mysterienspiel, das wir kurz bewunderten, ohne uns jedoch von unserem Vorhaben abbringen zu lassen:

Die Prognose bestätigte sich dann auch weitgehend: Im ersten Drittel des Törns kam der Wind zwar schräg von vorn, aber wir boten ihm fleißig alle möglichen Segel und Segelstellungen an, um ihm eine Unterstützung unseres Vorwärtskommens abzuringen. Dann kurze Windstille und für den größeren Rest der Reise ging es dann mit bis zu 7 Beaufort Wind von achtern (schräg hinten) in Rauschefahrt unserem Ziel entgegen. Natürlich kam auch entsprechende Welle auf und unsere Trinity surfte darauf spektakulär und schoss auf den Wellenkämmen mitunter in über einem Meter Höhe auf das Heck der Unity zu:

Unterstützt durch solch ruppig-freundliche Bedingungen kam bereits eineinhalb Stunden vor der anhand unserer durchschnittlichen Geschwindigkeit kalkulierten Ankunftszeit die Ansteuerung zum Hafen der Insel Trizonia in Sicht:

Trizonia ist ein etwas weniger winziges Eiland inmitten einer kleinen Gruppe winziger Inselchen im Golf von Korinth. Wichtigste Attraktionen: Eine rundum geschützte, kostenlos nutzbare (da seit vielen Jahren im halbfertigen Dornröschenschlaf befindliche) Marina bei einem idyllischen Fischerdörfchen, KEINE Autos, KEINE Mopets, KEINE Tavernen- oder Diskothekenmusik. Dafür ein in griechischen Häfen seltenes und kostbares Gut: Friedliche Stille, tagsüber vielleicht durch ein paar Zurufe der Einheimischen unterbrochen, abends nur das Geräusch des Windes und der gegen die Hafenmauer glucksenden Wellen. Trizonia ist, wie Psara (s. Logbuchseite 39 und 40) eine der wenigen Inseln, die wir während unserer Reise gesehen haben, die noch eine Ahnung der Idylle vermitteln, welche Griechenland vor langer Zeit seinen Ruf verschafft hat. Ein protziger (zur Zeit nicht betriebener) Hotelbau am Hafen mit Edelholz- und Marmorapplikationen gibt jedoch dem Argwohn Nahrung, dass die Idylle auch hier ihre Halbwertszeit überschritten haben könnte.

Ausschnitt des Hafens von Trizonia, im Hintergrund die hohen Berge des Festlands

 

Auch wenn das Wetter nicht, wie angekündigt, noch einmal Starkwind zu bringen scheint (der Meltemi im Osten schwächt sich langsam ab), bleiben wir hier ein paar Tage, weil uns die Ruhe nach der Hektik und dem Ärger in Aigina und Korinth und dem Geschaukel in Kiato sehr gut tut. Also bleibt mir auch etwas Zeit, um ein paar Zusätze zu zwei Themen, die auf diesen Seiten des öfteren zur Sprache kamen, zu notieren:

1. "Charterskipper": Wenn ich als Resümee dieses Sommers in aller mir möglichen Objektivität über dieses Thema nachdenke, muss gesagt werden, dass ich mittlerweile "im Schnitt" Charterskipper in der Mehrzahl der Fälle nicht (mehr) unbedingt für die schlechteren (im Sinne von ungeübteren, unbeholfeneren etc.) Skipper halte, dies insbesondere beim Thema Schadensverursachung. Ein Umstand kann jedoch leicht zu einem irrtümlichen Resümee führen: Charterskipper sind mittlerweile viel häufiger anzutreffen als Skipper auf eigenen Booten oder gar "Langfahrer" wie (vorübergehend) wir. Dadurch entsteht leicht der Eindruck, der meiste "Ärger" werde von Charterskippern in ihrer Qualität als solche verursacht, was zwar mitunter in gewissem Sinne auch stimmt, der eigentliche Grund liegt wohl aber doch überwiegend in der rein zahlenmäßigen Überlegenheit. Wir hatten in diesem Jahr einen Schaden am Boot durch einen Eigner und einen Schaden durch "Charterer". Gemessen an der jeweiligen Anzahl der Vertreter beider Gattungen geht damit der Punkt eindeutig an die Charterer (auch wenn der Eigner zu seinem Schaden stand und seine Versicherungsnummer überreichte, die Charterer sich jedoch heimlich davonmachten). Allerdings will ich noch hinzufügen, dass wir in 4 Sommern mit insgesamt ca. 580 Tagen, die wir unterwegs waren, nicht den geringsten Schaden an unserem oder anderen Booten verursacht haben und das dickköpfig noch immer als "eigentlich selbstverständlich" ansehen, auch wenn wir wissen, dass dabei auch etwas Glück im Spiel ist - auch bei größter Sorgfalt kann mal etwas schief gehen.

2. Thema "Griechenland". Auch darüber habe ich noch einmal etwas gründlicher nachgedacht, d.h. über manche kritischen Beobachtungen der letzten Sommer. Ich denke, einige Irritationen entstanden durch den "protestantischen Blick", den ich auf Griechenland warf. "Protestantisch" hat dabei vordergründig weniger mit einer bestimmten Konfession, sondern eher einer philosophischen und weltanschaulichen Tradition des Denkens zu tun. Zuerst einmal war da im wahrsten Sinn des Wortes mein Protest gegen ein Griechenlandbild, das von schwärmerischen Urlaubserinnerungen und antikenverklärter Graecophilie geprägt ist, was von der Tourismusbranche logischerweise einen zusätzlichen "Overdrive" verpasst bekommt. Die Freude an schönen Urlaubserinnerungen und akademischen Ambitionen zusammen mit den merkantilen Interessen eines ganzen Wirtschaftszweigs sind völlig legitim - aber im Falle Griechenlands, insbesondere unter dem Aspekt der EU-Mitgliedschaft, lassen diese Klischees eben leider zu oft politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Defizite in einem rosa Nebel verschwimmen oder ganz verschwinden. Ich halte dies zumindest für bedenklich. 

Zum Zweiten bin ich mir natürlich der Position bewusst, aus der ich (m)einen Blick auf Griechenland werfe: Ausgangspunkt ist ein "protestantisches", vom Geist humanistischer Aufklärung und abstrahierender Rezeption geprägtes Denk- und Wertesystem. Griechenland wiederum ist das orthodoxe Land schlechthin in Europa. In der aktuellen Türkei-Diskussion wollen viele selbsternannte Ritter der Aufklärung geltend machen, dass ein paar Bekenntnisse zur Säkularisierung und der flächendeckende Gebrauch von Mobiltelefonen ein Land zu einem westlich geprägten Land machen. Nach meiner Meinung zeigt dies nur ein bedauerliches Bildungsdefizit. Auch wenn heute die Kirchen- und Konfessionsferne in den westlichen Gesellschaften zunimmt, müsste doch klar sein, in wie vielen Bereichen der Gesetzgebung, der verschiedensten Wertvorstellungen und gesellschaftlichen Konventionen religiöse Maßstäbe bis in feinste Nuancen formgebend waren. Es hat viele Jahrhunderte gebraucht, bis aus dem ruppigen, keulenschwingenden Germanen von einst der (halbwegs) kultivierte Konzertbesucher von heute wurde. Ich halte es für naiv, zu meinen, dass die Grundprägungen einer Gesellschaft binnen weniger Jahre per Akklamation nachhaltig geändert werden könnten. Die USA erleben in diesem Sinne ja zur Zeit im Irak ihr Waterloo - auch ohne so verwegen zu sein, das Land gleich noch zum 60. Bundesstaat (...nach Guantanamo, Kuba u.a.....) erklären zu wollen (wobei jetzt um Himmels Willen die Türkei nicht direkt mit dem Irak verglichen sein soll - Beispiele hinken per se, das liegt in ihrer Natur). Ist ein "protestantischer" Blick auf ein orthodoxes Land angebracht? Oder ein orthodoxer Blick nach Norden? Gibt es überhaupt einen "richtigen" Blick von einem Land der Europäischen Gemeinschaft auf ein anderes? Ich will es einmal so ausdrücken: Beim europäischen Monopoli hat Deutschland mehr zu verlieren als Griechenland und Griechenland (zumindest in absehbarer Zeit) viel mehr zu gewinnen als Deutschland. Deutschland hat in den vergangenen Jahrzehnten und Jahrhunderten aus seinen Traditionen heraus prosperiert (wenn es nicht, meist zu Recht, von stärkeren Ländern in seinen Ambitionen ausgebremst wurde), Griechenland war bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts eines der Armenhäuser der europäischen Region (sofern es überhaupt zu dieser Region gerechnet wurde). Politische Fortschritte waren meist nur mit Hilfe stärkerer Nationen erfolgreich, wirtschaftliche Fortschritte sind es noch. Ist es in dieser Situation legitim, als deutscher EU-Bürger einen prüfenden, "protestantischen" Blick nicht nur auf die Urlaubs- und Antiken-Klischees sondern auch auf Beobachtungen in gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereichen des EU-Landes Griechenland zu werfen? Ich denke, dass dies durchaus nicht nur billig, sondern nachgerade notwendig ist. Vor allem angesichts oft tendenziöser Berichterstattung und einem Geschichts- und Selbstbild der Griechen, das, vorsichtig ausgedrückt, doch zuweilen sehr "heroisch" ausfällt. Damit soll nun keiner der positiven Aspekte des Landes und seiner Bewohner unterschlagen oder auch nur in Abrede gestellt werden. Aber jede Münze hat zwei Seiten - und hat sie die nicht, ist sie falsch. Das gleiche gilt in meinen Augen auch für den Blick auf Griechenland.