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Dienstag, 19. August 2003 - Mesolongion (Golf v. Patras / Korinth) * Mit einer idyllischen Inseltour haben wir uns inzwischen weiter südwärts bewegt. Manchmal war wunderbares Segeln angesagt, manchmal mussten wir motoren, was wiederum unseren Batterien gut tat. Kaum waren wir von Lefkas aufgebrochen, bebte dort die Erde mit Stärke 6 /Richterskala. Wir lagen inzwischen eine Insel weiter im Hafen, als uns morgens eine Erschütterung aus dem Bett warf, wie wenn uns ein anderes Schiff gerammt hätte oder zumindest über unsere Ankerkette gefahren wäre. Wir rannten auf´s Deck - kein Schiff im Hafen bewegte sich - war der Fliegende Holländer auch in Griechenland unterwegs, oder gibt es eine griechische Abart von Klabautermännern? Wir waren für´s erste beruhigt, dass nichts Offensichtliches passiert war. Nach dem Auslaufen sahen wir weit draußen auf dem Meer eine große, langgestreckte Bugwelle auf uns zu rollen - nur das dazugehörige Schiff fehlte - langsam begannen wir, an griechische Geister zu glauben. Erst abends im nächsten Hafen erfuhren wir durch Einheimische von dem Erdbeben und den zwei vorausgegangenen Stößen. Prompt wackelte das Boot wieder, wie wenn eine gewaltige Schüttelhydraulik den Rumpf von unten attackieren würde. Um 24:00 erfolgte das letzte Beben des Tages. Die Nachbeben am nächsten Tag bekamen wir nicht mehr bewusst mit - wahrscheinlich lief gerade unser Bootsdiesel und gegen dessen Vibration kommt so ein Erdbeben nur schwerlich an. Wir hatten mit Stürmen und sonstiger Unbill gerechnet - ein ausgewachsenes Erdbeben stand jedoch nicht auf unserer Rechnung. 

Ansonsten verlief unsere Reise freundlich und erfreulich. Die große Hitze macht uns mitunter etwas zu schaffen, aber mit Ventilatoren in fast jedem Raum des Schiffs ist dieses Problem recht gut in den Griff zu bekommen und wenn ein Wind geht, ist es wieder recht angenehm:  fast täglich um ca. 15:30 setzt er ein und selbst wenn tagsüber fast Windstille herrschte, kommt abends eine thermische Brise seewärts auf, die zusammen mit den abnehmenden Temperaturen sehr von uns genossen wird. Trotzdem freuen wir uns auf den Herbst, wenn ab September die Temperaturen wieder sinken - es soll bis Dezember (dann angenehm) warm sein und selbst im Februar und März gibt es nach meiner Erfahrung herrliche Tage - die wärmere SegelKleidung, die dann fällig wird, lässt wohl echtes Ostsee-Feeling aufkommen. Die dann schneebedeckten Berge ringsum geben einen reizvollen Kontrast zur jetzt ausgedörrten Landschaft.

Während diese Landschaft an uns vorbeizieht, geht mir eine Passage aus dem Buch "Seestücke" von James Hamilton-Paterson durch den Sinn: Ist eine Insel, wenn sie durch Strom-, Wasser-, Telefonleitungen und Fährverkehr mit dem Festland verbunden ist, im eigentlichen Sinn noch eine Insel? Und sind diese südlichen Landstriche, die mehr und mehr zu fremdgesteuerten Urlaubsenklaven nördlicher Länder mutieren eigentlich noch "sie selbst"? Die gängigen Klischees von Griechenland stimmen an keinem Ort mehr, in dem der Tourismus Fuß gefasst hat. Es herrscht ein gesichtsloser Jahrmarkt mit Wasserski und Surfschulen, der so verwechselbar ist, wie in fast allen Ländern am nördlichen Mittelmeersaum. Dass auf diese Weise die einheimische Bevölkerung ein Einkommen oder zumindest Auskommen hat, ist selbstverständlich ein Argument. Dass sie selbst die kümmerlichen Reste ihrer Kultur verliert, ist die andere Seite. Aber das "große", das heroische Griechenland fand ja vor über 2000 Jahren statt, als die Berge der Inseln noch von üppigen Wäldern bedeckt waren und wesentliche geistige Impulse von diesem Land ausgingen. Aus dieser Zeit stammen wohl auch die Klischees nordischer Bildungsbürger, die ihr Arkadien in griechischen Gefilden suchen. Alles Geschichte, wie die einst üppigen Wälder - heute liegen die bergigen Inseln wie nackte Gerippe im Mittelmeer (nur die kroatischen Inseln sind noch kahler durch die rücksichtslose Ausbeutung vergangener Jahrhunderte) und die kulturelle Führungsrolle des Landes ist ein Mythos, dessen Name nur noch in einem sehr mäßigen Dosenbier fortlebt und dessen andere Versatzstücke ab und zu in zweifelhafter Folklore herumgeistern, ähnlich der Traditionspflege in der deutschen Provinz. Viele "aufgeklärte" Griechen wollen mit all dem nichts mehr zu tun haben, geben sich "westlich", beklagen Missstände wie die Korruption im öffentlichen Dienst des Landes, wirtschaftliche Schwierigkeiten (aber welches Land hätte die zur Zeit aus eigener Sicht nicht...) - und sind doch in unseren Augen so sehr griechisch: eine Mischung aus Herzlichkeit und Arroganz, organisatorischem Chaos und Geschäftssinn, Gelassenheit und südländischem Temperament, Verbindlichkeit und schlitzohriger Schlauheit. Griechenland ist der zur Zeit orientalischste Teil Europas - und beides stimmt: orientalisch (durch Lage, Mentalität, Ethnie) und Europa (durch die Geschichte der letzten 300 Jahre bis heute). Vielleicht ist diese Mischung etwas, das das heutige Griechenland einzigartig fremd-vertraut und dadurch oft auch reizvoll macht.