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Kalamata, 01./10. Februar 2005

(begonnen am 01., beendet am 10.Februar)

 

Ein Kästchen, grade mal halb so groß wie eine Zigarettenschachtel -  meine Zweitkamera, die Elisabeth seit einiger Zeit annektiert hat und auf ihren Spaziergängen mit Pia damit überraschend gute Fotos schießt. Manchmal gibt sie mir ein paar davon ab. Wie zum Beispiel die beiden Abendstimmungen auf  dieser Seite. Der Abend dauert hier im Süden nicht lange. Grade noch ist es Tag mit Temperaturen um die 20 Grad (wenn es ein sonniger Tag war). Dann geht die Sonne unter und die Temperaturen stürzen innerhalb kürzester Zeit regelrecht ab in eisige Bereiche. Dazwischen jedoch erscheinen für die Dauer weniger Minuten Farbspiele von geradezu bestürzender Dramatik.

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Nach dreiwöchiger Netz-Abstinenz ohne Mails und FTP-Zugang, was wir einer Schlamperei des griechischen Providers "telestet" zu danken haben, habe ich die Zeit trotzdem genutzt und wieder eine, diesmal sehr persönliche, "Geschichte vom Meer" geschrieben. Sie fängt zwar auf dem Meer an, schwingt sich dann aber einige hundert Meter hoch in die Lüfte: "Freiflug".

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Dass dies nicht nur ein maritimes Logbuch im engeren Sinne ist, dürfte sich dem, der sporadisch oder regelmäßig auf diesen Seiten vorbeischaut, bereits mitgeteilt haben. Unser Leben und Erleben auf dem Meer generiert nicht nur Erkenntnisse, die unser persönliches Sein betreffen sondern auch ganz "handgreifliche" Schlüsse: Ich widme mich mit angewiderter Emphase protzigen Motoryachten, um zu zeigen, wohin ausufernder Kapitalismus in den Händen unzivilisierter Machtmenschen ausartet (dies auch im Hinblick auf die sich immer weiter öffnende "soziale Schere" und das daraus resultierende "Hauen und Stechen" in unserer Gesellschaft). Ich lästere über verantwortungslose "Mietlinge" im Charterboot-Bereich, bei denen sich anlässlich dieser Gelegenheit auf offener Plattform Defizite und Dummheiten manifestieren, die vielleicht "zu Hause" gar nicht so sehr auffallen, bei deren Beobachtung man sich aber mit gelindem Grauen ausmalt, was auf diese Weise agierende Menschen wohl im "ganz normalen Leben" so alles anrichten. Dies und vieles mehr ist mir ein fast unerschöpfliches Panoptikum plastisch vorgeführter Metaphern und Gleichnisse, die ein Spektrum von Symptomen aufzeigt, an deren Manifestation sich durchaus tiefer liegenden Gebresten unserer kränkelnden Kultur nachspüren lässt. Die überschaubare Plattform der Häfen bringt ein unwahrscheinlich dichtes Nebeneinander von hoch und niedrig, alt und jung, von verschiedensten Lebensauffassungen und damit verbundenen Lebensstilen, von kulturellen Prägungen unterschiedlichster Länder und der damit verbundenen Lebensäußerungen und Verhaltensweisen.

Und doch immer wieder die Ruhe und Stille, um das alles zu "verdauen" zu dem Versuch, daraus einige Schlüsse zu ziehen, die über das Erlebte und Beobachtete hinausweisen. Nicht zuletzt, wenn wir wieder "draußen" auf dem Meer sind. Denn so anregend die Zeiten in einem mehr oder weniger attraktiven Hafen auch sind, stellen sie doch letztendlich nur die Unterbrechung in einem Haupt-Programm dar, das immer wieder überwältigt und fasziniert: dem Aufenthalt auf dem Meer. Ich schreibe an dieser Stelle ganz bewusst nicht von der "Fahrt über das Meer", weil es im Grunde gar nicht darum geht, von einem Punkt zum anderen zu gelangen. Natürlich bewegt man sich bei dem reichhaltigen Angebot an Häfen, Buchten und Inseln, das die griechischen Gewässer vielleicht einmalig auf der Welt macht, bei jeder Ausfahrt ein Stück weiter, anstatt immer wieder in den gleichen Hafen zurück zu kehren. Aber dieses Reisen lenkt vielleicht auch mitunter ab von dem, was das Eigentliche dieses Erlebnisses ausmacht und es auf gravierende Weise unterscheidet von einer Rundreise im Wohnmobil: Einige Meter Schiff auf einer riesigen bewegten Fläche im Dialog mit "ungefilterter Natur". Ob diese sich nun in sengender Hitze und Flaute äußert oder in einer aufgewühlten See über die ein Sturm pfeift oder im Spektrum der Erscheinungen zwischen diesen Extremen - man steht dem unmittelbar gegenüber auf einer Seele und Gemüt berührenden Weite. Das lässt sich natürlich weitgehend ausblenden, wenn man schnellstmöglich per Motorbetrieb von "A" nach "B" hetzt. Zur in meinen Augen unvergleichlichen Blödheit solchen Tuns habe ich mich jedoch bereits an anderer Stelle geäußert.

Wie "das Meer" den alles beherrschenden Hintergrund, das letztendlich sinngebende Grundthema unserer Erlebnisse darstellt, so wandert auch immer wieder das Grundthema menschlicher Existenz zwischen dem "Menschlich-Allzumenschlichen" der Hafenerlebnisse durch meine Überlegungen. Für viele Menschen ist heute an der Seefahrt das "Hafentheater" wichtiger als das eigentlich "titelgebende" Grundthema des Meeres, weshalb letzteres auch möglichst schnell mit einem Motorboot "absolviert" wird. So ähnlich verhält es sich in meinen Augen, wenn Menschen ihr Augenmerk nur noch auf materielle und gesellschaftliche Aspekte des Lebens richten. Von diesen Menschen bekommt man dann mitunter sehr pragmatische und bestimmte Auskünfte über die Müßigkeit, ja sträfliche Nutzlosigkeit allen Nachdenkens über die "Brotexistenz" hinaus. Sie haben ihr Leben zu einer Fahrstraße betoniert zwischen einem erreichten und damit abgelebten Punkt und einem nächsten, vermeintlich unabdingbaren Zielpunkt, und das in einer sich permanent wiederholenden Abfolge. Wie einem Motoryacht-Kapitän immer der nächste Hafen der vermeintlich "bessere" ist und er achtlos über einen Erlebnisbereich hinweg brettert, der den Häfen ja erst ihren Sinn, den Buchten ihren Charme gibt und eine Insel erst zu einer solchen macht. Und abgesehen von alldem per se einen Bereich von überwältigender Schönheit und Gefahr, Dynamik und Stille bereithält. Man muss sich nur darauf einlassen. Denn erst dem, der das Meer bewusst wahrnimmt, wird sich auch das Wesen eines Hafens, einer Bucht oder einer Insel in Gänze eröffnen.

Auch hinter meinen alltäglichen "Hafengedanken" tut sich immer wieder die Weite der Frage nach den sinn- und richtunggebenden Grundlagen unserer Existenz auf. Wie Gedanken an ein Meer, das uns unendlich und unberechenbar erscheint und nach dessen Gesetzen wir uns doch tunlichst richten sollten und das durch seine Existenz aller "Peripherie" erst ihren Sinn gibt. Es ist die unverzeihliche Schuld unserer Kultur, dass eine Benennung dieses "Großen Ganzen" heute fast nicht mehr möglich ist, auch wenn es die Kirchen noch immer mit dem Plappern ihrer veralteten Metaphern in sturer Verlogenheit versuchen. Aber es nutzt nichts. Das erste Gebot wurde längst zu einer allgemeinen Beliebigkeit recyclet, die Metaphern so oft "vergeblich im Munde geführt", dass kein Reanimationsversuch mehr zu glücken scheint - "Gott", "der Herr" ist augenscheinlich tot. Die Tragik aber liegt nicht im Ableben einer menschengemachten Metapher, sondern darin, dass im Rückschluss auf dieses Ableben die Inhalte, für welche diese Metapher einst gefunden wurde, für viele bedeutungslos geworden zu sein scheinen. Ein verhängnisvoller Trugschluss, nicht unähnlich dem Verhalten eines Kindes, das die Augen ganz fest zumacht und behauptet "ihr seht mich nicht mehr".

Die Neigung, alles Religiöse aus unseren Überlegungen zu verbannen, wächst nachvollziehbar in jedem halbwegs aufgeklärten Menschen, wenn er das Zurückdrängen der Säkularisierung auf beinahe mittelalterliche Erkenntnisschemen durch, oberflächlich besehen, so unterschiedliche Protagonisten wie Osama bin Laden und George W. Bush beobachtet. Die entsprechenden Verbalinjurien und Missetaten fielen ja bereits - auf beiden Seiten. Und beide Kräfte zeigen im Grunde nur einen Missstand: So überlebt sich eine solche pseudo-spirituelle Ansicht erweist, so militant wird sie von ihren Anhängern vertreten. Im Alltag das entsprechende Symptom: Je unreflektierter ein Argument, desto lautstärker wird es vorgetragen, kurz: Wer im Unrecht ist, schreit. Und es wird viel "geschrieen" zur Zeit.

Derweilen wird das Loch, das durch den konservativen Übereifer einerseits und die wachsende Gleichgültigkeit oder gar Ablehnung andererseits entsteht, immer schmerzlicher auf vielen Gebieten spürbar. Es gibt immer weniger grundsätzlichen Konsens, der unsere Gesellschaft in grundlegenden spirituellen und, draus folgernd, ethischen Werten zusammen zu halten vermag. Trotzdem würgen die Kirchen weiterhin jede breite Diskussion mit ihrem Monopolanspruch ab, auch wenn ihnen längst keine zeitgemäßen Antworten auf die derzeitigen Fragen mehr einfallen. Es gibt in jeder Religion viele grundsätzliche Schätze menschlicher Erkenntnis. Aber vor einer Wendung zum Besseren kommen wir an der Anerkennung der Tatsache nicht vorbei, dass jede Religion etwas von Menschen Gemachtes ist. Die zugrunde liegenden Werte sind universell, "ewig" und allmächtig. Dass die Kirchen diese Attribute auch auf sich beziehen ist eine blasphemische Anmaßung. Dass sie damit die Fehler und Schwächen dieses "Menschenwerks Kirche" versucht haben unangreifbar zu machen und damit viele Menschen dazu verführt haben, sich ablehnend von allem Spirituellen abzuwenden, lässt auf tragische Verblendung und Ignoranz schließen - oder darauf, dass die Kirchenmänner und -frauen schon längst nicht mehr an die Hölle glauben, die sie noch immer so gerne predigen. Sonst müssten sie längst in "der Furcht des Herrn" vor einer apokalyptischen Bestrafung ihrer Versäumnisse "schlottern und bangen".

In jede Religion sind die Beobachtungen tausender Generationen eingeflossen. Beobachtungen über Phänomene und Sachverhalte, die "jenseits aller menschlichen Vernunft" liegen und wie ihnen entsprochen werden könnte. Hätte es diese Beobachtungen und Rückschüsse nicht gegeben, wäre nie eine Religion entstanden. Vor hundert Jahren wurde die Technik zur neuen Ersatzreligion ausgerufen und der Glaube an die Machbarkeit der Dinge war grenzenlos - wie sich schnell herausstellte zu unrecht. Heute ist es nun die Wissenschaft. Auch sie hilft uns weder beim Versuch, das Auseinanderbrechen unserer Gesellschaften zu verhindern, noch beim Bemühen, der Zerstörung der Erde Einhalt zu gebieten. 

Große Themen? Ja - aber sie reichen weit bis in die "Kleinexistenz" jedes einzelnen Menschen hinein: Warum können Sie nicht mehr im Fluss bei Ihrem Haus baden? Warum brauchen Sie immer aufwändigere Alarmanlagen für Haus und Auto? Warum hören wir in regelmäßigen Abständen von einer "Jahrhundert-Flut", einem "Jahrhundert-Sturm" oder wie jüngst einer "Jahrhundertwelle" - was nur die Blödheit solcher Aussagen zeigt: das Jahrhundert ist mal eben vier Jahre alt - was da in den restlichen 96 Jahren nachkommt, stopft, so ist zu befürchten, jedem "Jahrhundert-Schwätzer" das Maul. Nein, das war wahrscheinlich weder der Jahrhundert- Sturm, noch die Jahrhundert-Überschwemmung oder -Welle. Umgekehrt klingt das viel wahrscheinlicher angesichts aller absehbaren Tendenzen: Es kommt statt angenehm grusliger "Jahrhundertkatastrophen" ein Katastrophen-Jahrhundert - aber das klingt ja nicht so toll nach "Rekord!", sondern könnte eher zum Nachdenken animieren.  Noch ein paar Fragen: Warum müssen Sie Angst haben,  nächste Woche als "menschlicher Abfall" aus dem Arbeits- und Einkommensprozess, mit allen gesellschaftlichen und privaten Folgen, aussortiert zu werden? Warum sind Ihre Ersparnisse vielleicht schon morgen durch weltweite Spekulationen nur noch ein Trinkgeld wert? Warum haben Ehen und andere menschliche Vereinbarungen nur noch die Halbwertszeit einer Klopapierrolle? Kennen Sie noch jemanden, dem sie in einem rechtsfreien Raum (nehmen wir einmal die berühmte einsame Insel als Beispiel) bedingungslos ihr Leben anvertrauen würden? (Wer an dieser Stelle mit einem wirklich überzeugten "Ja" antworten kann, darf sich zu einer privilegierten Minderheit zählen). Warum sind alle Ebenen deutscher Gerichte hoffnungslos überlastet? Warum ist das Lieblings-Schimpfwort an deutschen Schulen "Du Opfer"? Ich überlasse es an dieser Stelle dem geneigten Leser, die Liste fortzuführen.

Wer unter solchen Aspekten seinen Alltag analysiert, wird sehr schnell zum Schluss kommen, dass es heute nicht mehr um ein Herumdoktern an oberflächlichen Symptomen geht. Mehr als ein neues Handy, das auch noch Wäsche wascht und 3D-Kino abspielt, brauchen wir eine allgemein verbindliche ethische Grundlage, die den Anforderungen unserer Zeit gerecht wird, ohne den Weisheitsschatz früherer "Modelle" zu ignorieren (und wenn auf dieser Grundlage dann auch die Produktion und Vermarktung neuer Handies oder anderer Waren auf eine menschenwürdig bessere Weise funktioniert - auch gut. Es soll hier um Prioritäten unseres Augenmerks gehen). Vielleicht wäre dazu eine ähnliche "Open Platform", wie sie erfolgreich bei der Entwicklung des Computer-BetriebsSystems "Linux" erprobt wird, nicht die schlechteste Methode. Ich lese immer wieder erfreut in sehr lebendigen Religions-, Ethik-, und PhilosophieForen im Internet mit. Da tut sich was. Es gibt nur (noch?) keine Richtung, kein definiertes Ziel dieser Diskurse. Auch die Forschungen des (ausgerechnet katholischen) Theologie-Professors Hans Küng über die Besonder- und Gemeinsamkeiten der Weltreligionen bietet einen wertvollen Ansatz. Selbst den bürgerlichen Ansatz der Unitarier sehe ich als pragmatischen Schritt in diese (meiner bescheidenen Meinung nach) richtige Richtung an. Ich denke, wir (und meine damit: wer immer sich angesprochen fühlen mag) dürfen und können nicht warten, bis eine offizielle Stelle, sei es von staatlicher oder kirchlicher Seite, eine solche Bewegung anschiebt - viele Resultate, so darf vermutet werden, würden ja diametral dem Machtanspruch dieser Institutionen entgegenstehen. Aber als ethischer Zweig einer Bewegung wie "ATTAC" oder einer anderen NGO wäre ein Projekt dieser Art vielleicht durchaus vorstellbar. Der Mensch lebt ja bekanntlich "nicht vom "Brot" allein"....

 

 

Last but not least: Unser Wachhund Pia:
Is was? Die Lage wird äußerst vorsichtig vom sicheren Boot aus sondiert. Auch wenn man gemeinhin "Schiss für Drei" hat, kann man an Elisabeths Hand ja mal zeigen, wie gefährlich man sein könnte... Und tschüss! Wenn´s an Land zu ungemütlich aussieht, gibt´s einen eiligen Rückzug auf´s Boot.