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.....uuund - Action! Über die ca. 4 Meter hohe Steinschüttung hinter der Hafenmauer krachen 6-8 Meter hohe Brecher auf unseren Steg (links).

 

Logbuch, 16. Februar 2005

 

Zweieinhalb Tage lang konnten wir nicht unterscheiden, ob das laute Donnern und Grollen um uns herum nun von einem der vielen Gewitter oder von den Brechern stammte, die in unablässiger Folge über die Hafenmauer auf uns zu stürzten. Alle paar Sekunden ein Rauschen, als ob sich hinter der Hafenmauer ein riesiger Wasserfall befände, der sehr schnell anschwillt, dann ein dumpfes Brüllen, während das ganze Pier wie bei einem mittleren Erdbeben erzittert, was sich über das Wasser sogar bis ins Boot fortsetzt. Wer dann noch auf dem Pier steht, hat Pech - eventuell sogar ganz enormes Pech: Wenn einer der dickeren Karwenzmänner über die Mauer steigt, spült er einen Menschen ohne weiteres vom Pier ins Hafenbecken, was lebensgefährlich sein kann, da gleichzeitig vom abfließenden Wasser im Becken eine große Welle entsteht, auf der die Boote wild herumschaukeln. Wer zwischen die tonnenschweren Boote kommt, läuft Gefahr, zerquetscht oder unter Wasser gedrückt zu werden. Sich auf der anderen Seite des Piers nahe der Mauer zu halten, ist wenn möglich noch gefährlicher: Mitunter werden zentnerschwere Steinbrocken durch die Wucht der Brecher von den Quadern der Steinschüttung abgesprengt und auf´s Pier geschleudert. Schon faustgroße Teile, die in großer Menge überkommen, können bei einem Treffer tödlich sein. Links ein Spot vom Photo-Handy: zum Größenvergleich hab ich mal "Hand angelegt". Die Distanz zur Hafenmauer, über die diese Teile geflogen kamen, beträgt ca. 8-10 Meter.
Also leben wir zur Zeit sehr sportlich: Warten am Beginn des Piers, bis das Donnern der Brandung etwas leiser zu werden scheint, und dann ein schneller Spurt zum Boot. Wenn man an der Gangway angelangt ist, kann sich jedoch eine gemeine Falle ergeben: Das Boot schlingert ständig von rechts nach links und das Ende der Gangway schwingt als "Ausleger" permanent ca. 2 Meter von einer Seite zur anderen und gleichzeitig ca. einen Meter vor und zurück. Also muss man auf den "Totpunkt" einer Bewegung warten, um mit drei schnellen Sprüngen auf´s Boot zu hechten. 

Verharrt die Gangway aber zu kurz am Ende einer Schwingbewegung oder bewegt sich das Boot zu stark vor und zurück, heißt das, dass man unter Umständen eine ganze Weile auf einen passenden Moment warten muss - da können ein paar Sekunden eine Ewigkeit sein. Wenn man Pech hat, kommt während dessen doch wieder ein Karwenzmann über. Wenn man dann nur bis auf die Knochen durchnässt ist, hat man Glück gehabt. Inzwischen sind wir jedoch so geübt, dass wir anhand der Geräuschkulisse in etwa abschätzen können, was sich hinter der Hafenmauer tut und absolvieren unseren Hindernislauf auf´s Boot relativ unbeschadet. Wenn es ganz hart "kachelt", kommt die Schwerwetterkleidung aus Ostseetagen inklusive "Südwester" zum Einsatz. Jetzt glauben wir zu wissen, woher diese äußerst praktische Mütze ihren Namen hat - ist es doch exakt der Südwest-Wind, der hier für Chaos sorgt.

 

Fortsetzung vom 17. Februar:

Nachdem auch Pia nach zwei Tagen ziemlich genervt war von dem ständigen Lärm und der Schaukelei, hatte ich vorgestern Abend meine beiden Damen für die Nacht im Wohnmobil untergebracht, um alleine auf dem Boot "Stallwache" zu halten. Prompt schlief der Wind ein und die Brecher wurden weniger. "Murphies Law" in umgekehrter Richtung. Inzwischen hat der Wind nachgelassen und das Meer grummelt nur noch hinter der Hafenmauer, grade so, als ob es darüber enttäuscht wäre, dass der "Spaß" schon wieder vorbei ist. Dafür laufen hier seit gestern die Katastrophenmeldungen aus anderen Teilen Griechenlands ein. Zum Beispiel Piräus: Sturm in Orkanstärke bis 12 Beaufort, 10 Meter (!!) hohe Wellen, Teile der Hafenmauer (Zea-Marina) eingestürzt, viele Yachten stark beschädigt, einige sogar losgerissen und auf´s offene Meer geweht. Auch in anderen Teilen der Ägäis ging es hoch her: mehrere große Tanker und Containerschiffe kenterten oder strandeten, was einige Menschenleben kostete. Da war´s bei uns ja direkt gemütlich. Wir hatten zwar auch zwischenzeitlich 10 Beaufort, aber zum Glück nie so lange, dass sich auch die entsprechende Welle in voller Höhe aufbauen konnte. Ich bin mir sicher, dass wir hier im Hafen bei einem 12-Bft.-Sturm aus Südwest nur noch Fersengeld geben könnten, um wenigstens mit einigermaßen heiler Haut davon zu kommen. 

Bevor wir 2002 starteten, habe ich via Ebay von einem erfahrenen Großschifffahrts-Kapitän einige Fachbücher zu Funkverkehr und Navigation gekauft. Anlässlich einer telefonischen Rückfrage wegen der Zahlungsmodalitäten plauderten wir ein wenig über unser Vorhaben, da der Kapitän auch mit einer Segelyacht auf Ost- und Nordsee unterwegs ist. Eine Ermahnung war ihm so wichtig, dass er sie mir mit ernster Dringlichkeit mehrmals wiederholte: "Verlieren sie nie die Achtung vor dem Meer!". Nach Tagen wie den vergangenen, versteht man die Bedeutung der Worte noch etwas besser. Ich würde sie gerne manchem Charterskipper, der mit Vollzeug bei 7 Beaufort übers Meer "pfeift" in dicken Lettern auf´s Boot pinseln - aber ich befürchte, das würde in diesem Fall auch nichts helfen.

Vom letzten Winteraufenthalt hier in Kalamata kennen wir zwar bereits diese südlichen Wetterlagen und ihre Auswirkung, aber nicht in dieser Stärke und Dauer. Auch wenn natürlich von einem Jahr zum andern noch keine Tendenz abzuleiten ist, gibt es doch einen Vorgeschmack auf die Entwicklung, die Wissenschaftler für die nähere Zukunft im Mittelmeer voraussagen: Während es im westlichen Mittelmeer (insbesondere in Südspanien und den Balearen) immer heißer und trockener wird, tendiert die Entwicklung hier im östlichen Mittelmeer zu immer häufigeren und heftigeren Stürmen und mehr Niederschlag.

 

Es erreichten uns auch wieder einige besorgte Anrufe von Freunden, die in den Nachrichten etwas über die Ereignisse hier "unten" mitbekommen haben. Unter anderen meldete sich auch Ralf, im letzten Winter unser Stegnachbar, der dringend sein Boot verkaufen wollte, da eine Weltumsegelung auf einem anderen Boot anstand. Nach einem Umweg über die Insel Leros ist das Boot nun wirklich verkauft und Ralf macht sich bereit für die Reise zur Südsee-Insel Tobago, von wo aus die Weltumsegelung starten soll. Alles ist klassisch an diesem Törn: Das Schiff ist eine "Colin Archer" (links eine Abbildung des Schiffstyps), der Skipper ist Utz Müller-Treu, eine "Seglerlegende" - er hat schon mehrere Weltumsegelungen gemeistert und will´s einfach noch einmal wissen (er ist mittlerweile über 70!). Also hat er sich Ralf zur Unterstützung an Bord geholt und der will uns jetzt regelmäßig Foto-CDs und Notizen schicken. Wir spielen dann die "Basisstation" und archivieren alles, ich schreibe aus den Notizen etwas "Lesbares" und gestalte eine Homepage, in der zusammengefasst das Wichtigste reportiert wird. Später soll daraus vielleicht ein längerer Artikel oder sogar ein Buch werden. Aber erst mal geht´s los, wir wünschen Ralf und seinem Skipper allzeit freundliche Winde und genügend Wasser unter´m Kiel, und wir freuen uns bereits auf die ersten Berichte und Photos.
 

Und "das Letzte": Von "unserer" Gemeindebibliothek in Dinkelsbühl haben wir uns einige Hörbücher auf jeweils mehreren CDs ausgeliehen und auf Vorrat zum "späteren (privaten) Verzehr" kopiert. Zur Zeit gibt´s nun jeden Abend eine CD in Fortsetzung. Allerdings ließen uns die letzten zwei Hörbücher mit ambivalenten Gefühlen zurück: Beide waren gespickt mit detaillierten pornografischen Schilderungen (z.B.: zwei Männer und eine Frau ficken sich gegenseitig im Ringelreihen mit allem Erdenklichen in alle möglichen und unmöglichen Körperöffnungen - bis auf´s letzte Schamhaar genau beschrieben in "Glamourama") und ekelhaft präzisen Schilderungen sadistischer Perversionen und Folterungen bis zum qualvollen Ableben der Opfer ("Der Vogelmann"). Teilweise werden beide Genres brutal vermischt. Sind solche Zutaten für "packende" Geschichten heute unverzichtbar? Hält uns der Autor für so abgestumpft? Oder braucht es inzwischen wirklich den Einsatz so starker Reize, um noch gelesen zu werden? Dann war "Otto"  ein Visionär kultureller Entwicklungen, als er in den Siebzigern von der "Brutalisierung des Buchhandels" blödelte: "Du kaufst mir jetzt den Hesse, sonst gibt´s was auf die Fresse - du kaufst mir jetzt den Simmel ab, sonst schneid ich dir ..... ins Ohrläppchen." ..... oder so ..... Zur Zeit knabbern wir an Helmut Karasecks "Betrug". Auch bei ihm braucht´s ein bissel Sex. Der aber ist so anregend (beschrieben) wie die übrigen Zutaten erotisch sind: Tennisclub, Bankfilialleiter, Neubausiedlungs-"Villa". Also - nichts gegen tennisspielende Kleinstadtbanker mit Häuschen. Aber wie "originell" die ihre Seitensprünge organisieren und abfeiern und in welche Ärgerlichkeiten sie sich dabei verstricken - ich weiß nicht, ob ich das wirklich wissen will. Karaseck als Bret Eston Ellis für Arme in deutsch - kleinbürgerlichen Niederungen? Ich schreib mal eine Novelle darüber, wie ich die Edeka-Verkäuferin in Untermegersheim um fünfzig Cent betrogen habe - unter besonderer Würdigung ihres Dekoltées unter der grobgestrickten Wolljacke und der aufwühlenden Erkenntnis, dass mein Deo klemmt. Ein verstörender Schocker aus dem wirklichen Leben. Titel: "Aldirama". Alles rein fiktiv natürlich. Obwohl - also Karaseck schreibt durchaus, als wäre er ein intimer Kenner der verschwitzt - verschwiemelten Szene, die er, dem Fußpilz immer hart auf der Ferse, bis in die kleinste linkische Anwandlung hinein beschreibt und auch vor dem Eiterpickelchen auf der Stirn der Geliebten nicht halt macht. Authentizität kann zuweilen doch sehr beklemmend wirken....

Das Allerletzte: Wer auch in Elisabeths Logbuch mitliest und sich über ihre etwas "geglättete" Schilderung unserer Sturmtage wundert: da liest Mutti Linsenmeyer mit und die soll nicht allzu sehr beunruhigt werden, in welch schreckliche Abenteuer ihre Tochter entführt wurde.... ;-)