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Aigina, 29. Mai 2005

 

Das Leben ist manchmal von solch niederträchtiger Gemeinheit, es ist kaum zu fassen: Grade als ich mit guten Argumenten und standhaftem Beharren meine Kritikfähigkeit so weit verteidigt habe, um mir daraus ein paar wunderschöne Vorurteile basteln zu können, kommt die Realität und verhackstückelt mir alles wieder in mikroskopische Einzelteile. Die Griechen sind zuweilen unfreundlich? Ha! Einige erinnern sich hier in Aigina sogar noch an unseren letzten Besuch im Vorjahr und stürmen mit Handshaking und vielen "Kalimeras" auf uns zu. Motoryachtbesatzungen sind unzivilisierte Rüpel? Ha! Gestern kam ein Riesenteil rechts und eines links von uns zu liegen. Sauber und sorgfältig "eingeparkt" und dann besaßen "die" auch noch die Unverfrorenheit, höflich, nett und zuweilen regelrecht herzlich zu sein! Bedankten sich überschwänglich für die Anlegehilfe, plauderten freundlich und schauten sogar schnell ins Internet, um mich nachher mit Lobesworten für meine Bilder zu überhäufen und sich heute morgen mit fröhlich - freundschaftlichem Winken wieder zu verabschieden, nicht ohne vorher der Hoffnung Ausdruck zu verleihen, uns im Juli auf den Dodekanes wiederzutreffen. Und was, bitteschön, mach ich jetzt mit meinen stichhaltigen Argumenten, Beobachtungen und Beweisfotos vom letzten Jahr? Da der Schwabe als solcher ohne Not "nix wegschmeißt", lass ich das jetzt mal beides so stehen und hoffe, keine schizophrenen Schübe davon zu bekommen.....
Freundliche Belagerung: Oben: Suchbild - Wo ist die Unity? Unten: Auflösung

Das Wetter macht mal wieder Kapriolen, ein Gewitter jagt das nächste, der Wind pfeift mit Sturmstärke aus Nord durch die schmale Seestraße zwischen Euböa und dem Festland, genau entgegen unserer geplanten Fahrtrichtung auf dem Weg zu den Sporaden. Also bleiben wir eben noch ein paar Tage in "unserem" Aigina. Und lustig ist´s wieder mal. Man trifft Seglerbekanntschaften vom letzten Jahr und viele Neuankömmlinge. Zwei lustige Dänen zum Beispiel, die mit einem betagten Betonboot einlaufen, das exakt für das Thema "Kampfsegeln vor Island" gebaut scheint. Günstig hier in Griechenland gekauft. Aber in der Straße von Euböa hat sie´s von den derzeitigen Starkwinden in den daraus resultierenden Kreuzseen doch so unbarmherzig gebeutelt, dass der (anscheinend durchaus segelerfahrene) dritte Mann umgehend von Bord ging mit dem Schwur, nie wieder einen Fuß auf ein Segelboot zu setzen. Abends erscholl mit fortschreitendem Biergenuss herzhaft kerniges Seebären-Lachen aus dem Cockpit.

Das sind so die Typen, die es draußen mir Tod und Teufel aufnehmen. Zurecht wohl: ihr Boot haben sie im Griff, wie wir beim An- und Ablegen beobachten konnten. Das Gegenteil bescherte uns eine nordische Männercrew (Nationalität ist der Redaktion bekannt) am selben Tag: mit einem modernen, leicht zu "handelnden" Boot eierten die Jungs in Schlangenlinien auf´s Pier zu. Keine Leine war klariert, keiner wusste, was er zu tun hatte - aber mitten im Anlegemanöver (!) erschien einer mit einem Tablett voll frisch gemixter Cocktails an Deck. Alle hatten so seltsam rote Gesichter und es wurde schnell klar, dass sich die komplette Crew in unterschiedlichen Zuständen der Trunkenheit befand. Wenn die Nordlichter schon begeistert von den niedrigen Alkoholpreisen hier "unten" sind, sollten sie vielleicht trotzdem besser mit dem Kampftrinken warten, bis ihr Boot sicher am Pier liegt. Noch ein "Vorurteil" geht über Bord: Bisher hatten wir Crews aus nordischen Ländern zumeist als erfahren und den Regeln der Seemannschaft kundig erlebt. Diese Crew war jedenfalls eine Schande für die komplette Zunft - die Gäste im Stegcafe hatten immerhin was zum Lachen und fragten uns, ob das Landsleute wären, weil wir ihnen barmherzig zu Hilfe eilten. Ich antwortete schamvoll, dass ich in diesem Fall umgehend meine Nationale einholen würde. Gleichzeitig wollte dann noch eine kleine Motoryacht ans Pier drängeln und so hatten wir eine halbe Stunde lang alle Hände voll zu tun, um mit klaren Anweisungen und viel Leinengezerre ein Chaos neben unserem Boot zu verhindern.
gemütlich

 

gequetscht

 

geordnet

 

Gestern Abend ließen wir noch einmal die Aigina - Erlebnisse des letzten Jahres Revue passieren, während wir auf dem Vordeck unser "Gute-Nacht-Bier" tranken und das Treiben im Hafen beobachteten. Der schrecklich umständliche Tom zum Beispiel, der jedes Mal eine halbe Stunde im Hafenbecken dümpelte, bis er endlich ein haarsträubendes Anlegemanöver absolvierte, bei dem er 120 Meter Kette im ganzen Hafen verteilte, obwohl höchstens 30-40 Meter nötig wären. Prompt hatte auch ständig jemand sein Zeug im Anker hängen. Oder XY, der alte Schwerenöter in fortgeschrittenem Alter mit dem hübschen selbstgebauten Katameran - und jedes Mal, wenn wir uns trafen, einer anderen Lady an Bord. Seine Gattin hütete derweil zu Hause das Eigenheim. Oder das betagte Seglerpaar im etwas pflegebedürftigen hölzernen Traditionsbötchen. Er der Prototyp des fröhlichen Althippies mit Wuschelbart und Wallehaar, die füllige Gattin im geblümten Hauskleid, gut vorstellbar in der Küche eines Siedlungshäuschens - aber stets mit äußerst flotter Racing-Sonnenbrille angetan. Prädikat: Liebenswerte britische Exzentriker.

Ein anderes Senioren-Paar im deutlich gepflegteren Holzboot, das aber augenscheinlich im Rückwärtsgang fast manövrierunfähig war, sodass wir sie mit Mühe in die Lücke ziehen mussten. Vorangegangen war zuvor ein spannendes "Rennen" in Zeitlupe mit einem riesigen Motorkübel. Dieser wollte eigentlich auch in die (für ihn viel zu kleine) Lücke neben uns, wir wollten aber lieber den Traditionssegler. Immer wenn der ein wenig abtrieb bei seinen Steuerversuchen, setzte die Motoryacht zum Angriff an - es war eine hoch dramatische halbe Stunde, bis wir das Bötchen glücklich eingefangen hatten. In der Aufregung war der Anker nicht ordentlich geworfen worden, also brachten wir ihn mit unserem Beiboot ein zweites Mal aus. Am Morgen musste der Skipper dann feststellen, dass der Motor nicht mehr ansprang - wahrscheinlich die Zylinderkopfdichtung. Wir verabschiedeten uns mit den besten Wünschen.
Dann der Ragattatag, an dem ca. 80 Yachten in den eigentlich schon vollen Hafen einfielen. Man konnte über die vielen Päckchen den Hafen fast trockenen Fußes durchqueren. Oder die hochseetüchtige Colin Archer, ein massiges Traditionsboot aus Holz mit Begonienkübeln an Deck und einem mächtigen Einzylinder-Deuzmotor, der vor dem Start mit dem Bunsenbrenner vorgewärmt werden musste und dann wummernd, jeder Schlag ein Treffer, mächtige Rauchwolken durch ein Original-Ofenrohr blies. Oder der sympathische Athener mit seiner kleinen Motoryacht, der in Begleitung seiner freundlichen Gattin pünktlich jeden Samstag auftauchte (ab dem zweiten Mal mit gegenseitigem erfreutem Winken begrüßt), immer so gebildete Bücher las, und der uns als Dankeschön eine Flasche exzellenten Rotwein herüberreichte, nachdem wir einen großen Motorbootkübel verjagt hatten, der sich (wieder mal) in eine viel zu enge Lücke zwischen uns pressen wollte.

Oben links & unten links/mitte: Die vielleicht meistfotografierte Kirche Griechenlands am Hafeneingang von Aigina. Oben mitte: Rushhour am Fährkai. Unten rechts: Von Booten, die am Boulevard festgemacht haben, wird eine malerische Fülle von Früchten angeboten. Leider floriert der Umsatz nicht so rasch, wie es wünschenswert wäre, sodass ständig Vergammeltes aussortiert werden muss - was sich leider in den Preisen niederschlägt und unseren Konsum etwas reduziert. Trotzdem hatte die Verkäuferin Elisabeth vom letzten Jahr in so guter Erinnerung, dass sie sie beim Wiedersehen vor Begeisterung fast herzte und küsste ...

Gestern legte dann noch eine deutsche Männercrew neben uns an. Auf Meilentörn, also dem Sammeln von für bestimmte Segelscheine erforderlichen Seemeilen. Unter Leitung eines "qualifizierten" (schwäbischen) Skippers. Der auch gleich auf barscheste Weise zeigte, wie man anderen Seglern Hilfe beim Anlegen verweigert. Und uns morgens um sieben Uhr aus dem Bett warf mit lauten Kommandos im Kasernenhofton. Um dann nicht eben lehrbuchmäßig abzulegen - nicht ohne vorheriges Gestocher mit dem Enterhaken entlang unseres Bootes. "Des macht mr so", wurde mir auf meinen Protest hin beschieden - und dann wurde seelenruhig weitergestochert. Aber vielleicht versteh ich da wirklich etwas nicht so richtig - ich bin ja auch nur Inhaber eines mickrigen "Sportbootführerschein See". Also habe ich die "Multi-Schein-Skipper" etwas genauer beobachtet (man lernt ja gerne dazu) und mir einige Notizen "Zum richtigen Anlegen" gemacht.

Oben: Viele schöne Yachten jeden Alters und Typs kann man bei einem Spaziergang durch den Hafen begutachten. Und dazwischen dann immer wieder Boote im fortgeschrittenen Alter, die durchaus noch prima zu segeln wären, um die sich jedoch offensichtlich niemand kümmert und die langsam kaputtgehen. Abgeschrammte Rümpfe, verrottete Leinen, undichte Luken, durch die es ins Schiff regnet. Traurig. (unten)

In jeder Ecke des weitverzweigten Hafens haben sich Fischer eingenistet - das trägt doch ganz entschieden zum Lokalkolorit bei:

In einer der letzten Ausgaben der ZEIT besprach Michael Naumann origineller Weise mal kein aktuelles Auto, sondern den Klassiker "Citroen 15 CV". Ein Automobil mit der formalen Anmut einer Welle. Entworfen und gebaut in einer glücklicheren (?) Zeit, als die Form noch auf´s Eleganteste der Funktion folgte. Wie ein Erotomane, den es bei jedem Anblick einer Frauensperson in den Fingern juckt, konnte ich nicht umhin, der eleganten Form mit ein paar Bleistiftstrichen zu huldigen. Ja doch - ich habe das Teil in meiner Studie etwas "tiefergelegt", um diesem unnachahmlichen Schwung noch etwas besser zu entsprechen.

Faber Castell Bleistifte Stärke B, 2B und "Graphite Pure" 3B auf Zeichenpapier, 40 x 16 cm

 

Ja - die Klassiker. Neben uns hat heute auch einer festgemacht. Drei Ehepaare, ebenfalls als "Klassiker" zu bezeichnen, lassen sich damit, vermutlich als "Paying Guests" durch die Gegend schippern. Die Gäste können im lauschigen Sofaeck auf dem Achterdeck (rechts) am Sundowner nippen, den der Steward schon bereithält, wenn die Herrschaften vom kleinen Landgang zurückkehren. Später selbstverständlich "A nice cup of tea". Very british, a bisserl versnobt, lustig.

Trotz aller Kurzweil und allem Komfort hier im Hafen hoffen wir, dass Gewitterneigung und Starkwinde bald nachlassen und der nächste Bericht von einem Punkt irgendwo nordöstlich von hier kommt....

 

In der Rubrik "das Letzte" heute die Stichworte:

- Musik1: Am vorletzten Abend in Aigina fand direkt vor unserer Nase am Stegcafe eine Hochzeit statt. Wäre ja nett gewesen - wären da nicht ein Diskjockey und 2 Lautsprecherboxen mit zusammen 1000 Watt Musikleistung aufgetreten. Traditionelle griechische Volksmusik, wie wir sie vor 20-30 Jahren noch live gehört hatten, war das nicht. Irgend ein stampfender 2/4-Takt, sehr orientalisch in der Anmutung, mit Sängern, die in unseren nordisch-ungeübten Ohren klangen, als beschwerten sie sich ununterbrochen lauthals darüber, soeben einen saftigen Schlag ins Gemächt bekommen zu haben. Das bei bis zum Anschlag aufgedrehten 1000 Watt aus 10 Metern Entfernung. Bis zwei Uhr Nachts beschallte die lustige Gesellschaft, die ab 22:00 nur noch aus 15-20 Personen bestand, den ganzen Hafen und hinderte mindestens 200 Menschen daran, zu schlafen. Der einzige Grieche am Steg legte um kurz nach zehn entnervt ab und entschwand in die Nacht. Also kann das Dargebotene weder in Qualität noch Lautstärke landestypisch gewesen sein. Wir haben hier in Griechenland eine Beobachtung gemacht, die auf Deutschland und andere Länder mühelos übertragbar ist: Je schlechter die Musik, um so lauter wird sie gespielt. Wenn schon (Klang-)Müll, dann wenigstens viel davon, sprich *!!!LAUT!!!*.

- Musik2/Lärm1: Am lautesten ist folgerichtig, was in fast jedem "besseren" Hafen, den wir in letzter Zeit anliefen, in mindestens einem Etablissement unter freiem Himmel bis in den frühen Morgen weithin hörbar abgespielt wird: "Techno" mit hämmernden Maschinentakt-Rhythmen. In das Gehämmer werden noch ein paar gebrüllte Schlagworte und Melodiefetzen gemischt und fertig ist ... ja, was denn? Ich weigere mich, diesem Schund das Prädikat Musik zuzubilligen. Er erfüllt alle Kriterien, um als Drogengift eingestuft zu werden: Wer sich dem Zeug direkt aussetzt, gerät unweigerlich in einen tranceartigen Zustand unzurechnungsfähiger Benebelung und setzt sich einer mittlerweile in zahlreichen medizinischen Reports dokumentierten irreparablen Schädigung des Reizleitungssytems (Nerven und Herzrhythmus) und des Gehörs (und damit auch des Gleichgewichtssinns) aus. Auf Poros flüchteten wir auch noch nachts um zehn Uhr, als direkt gegenüber unserem Boot der Krawall losging.

Es gibt ein musikalisch recht elegant gehaltenes Stück von Paul Simon mit dem Refrain: "Remember, one man´s ceiling is another man´s floor". Wer etwas derartiges abspielt, zeigt, dass ihm selbst die mindeste Rücksichtnahme auf Geschmack und Nerven anderer auf´s Mutwilligste "wurscht" ist und erweitert den Begriff "Subkultur" nach unten ins Bodenlose. Würde jemand andere Menschen stundenlang mit vergorenen Fäkalien bewerfen, wäre das Wesen der (Un-)Tat noch ein klein wenig ersichtlicher - der grundlegende Tatbestand ist jedoch auch bei diesen "Bumslokalen" erfüllt.

- Lärm2/Technik1: Es gibt hier in Griechenland als weit verbreitetes Fortbewegungsmittel Kleinkrafträder mit einem 125-Kubik- Viertakt-Motor. Die Rädchen begeistern im Originalzustand durch flüsterleisen Lauf. Eine ganze Branche lebt nun davon, diesen Motorrädchen einen (ansonsten völlig nutzlosen) Auspuff zu verpassen, der den kreischenden Sound eines kaputten Zweitaktmotors generiert. Die Umbaumaßnahme kommt besonders gut zu Geltung, wenn man nicht gleichmäßig Gas gibt, sondern sich in einer permanenten Aneinanderreihung von Vollgasbeschleunigungen fortbewegt. Der Sound ist mittlerweile fast flächendeckend anzutreffen.

Technik2: Noch immer trifft man in Griechenland mitunter Fortbewegungsmittel musealer Qualität an. Insbesondere BMW-Motorräder aus den 50ern in jeder Ausführung inklusive originaler Beiwagen. Als "alter BMWler" (BMW R27-3 & R60-5) freue ich mich immer wieder, ein solches Relikt anzutreffen. Unten noch die Abbildungen zweier automobiler Begegnungen der besonderen Art. Das linke Bild braucht eigentlich nur den Kommentar, dass jeder deutsche "TÜV" entzückt wäre, Mitte und Rechts zeigen einen in dieser Version nur kurze Zeit und in kleinen Stückzahlen hergestellten Sportwagen aus deutscher Fertigung, der gemeinhin mit dem Spitznamen "Sekretärinnen-Porsche" belegt wurde. Eine echte Rarität. Erkennt jemand noch das Modell?