zurück zum Inhalt

 

48°48´798´´ N

010°38´697´´ E

28. März 2006

 

Wir hatten uns für diesen (letzten?) Winter in Griechenland eine der komfortabelsten Marinas ausgesucht. Angesichts der Tatsache, dass wir nun den ganzen Winter "im Norden" verbringen, eine wirklich lohnende Ausgabe.... Unsere "Unity" steht einstweilen "hoch und trocken" in Korfu und birgt in ihrem Bauch alles, was wir hier so dringend bräuchten: ein superschneller Computer mit Din-A-3 - Scanner, Garderobe für wärmere Temperaturen undundund. Aus den geplanten 6 Wochen "Heimaturlaub" sind mittlerweile über drei Monate geworden und ein paar weitere Wochen wird es wohl noch dauern, bis alles für´s Erste soweit erledigt ist, dass wir wieder an Bord gehen können.

Im Ganzen gesehen bedeutet uns die Verzögerung jedoch keine allzu gravierende Anfechtung, da die Gründe dafür hoch spannend und erfreulich sind. Zunächst einmal ist mein erstes Buch über Aquarellmalerei im Entstehen. Um näher am Geschehen zu sein, sattelte ich unsere "Straßenyacht", das heißt: zum ohnehin vorhandenen Schreibtisch auf der linken Seite wird die gegenüber liegende Sitzecke temporär gegen einen zwei Meter breiten Zeichentisch ausgetauscht (das Bild (u.) auf Zeichentisch und Bildschirm stellt, nebenbei bemerkt, den Boulevard des Haupthafens der Insel Aigina (Saronischer Golf) dar):

 

 

So ausgestattet "segelte" ich gen Stuttgart und stehe nun des öfteren entweder ganz praktisch direkt vor dem Verlagshaus, um während der Arbeit dies und jenes mit der Resortleiterin auf "kurzem Wege" besprechen zu können, oder auf meinem Lieblingsplatz unweit des Hauses, in dem die zuständige Redakteurin residiert und arbeitet. Wer hätte nicht gerne einen Arbeitsplatz mit balustraden-verzierter Terrasse davor und diesem Ausblick aus dem Panoramafenster vor dem Arbeitstisch - wenn man denn mal eben den Blick vom "Wirken und Werken" reißen kann:

 

 

Mein Geburts- und nunmehr temporärer Tätigkeitsort Stuttgart bei Tag und Nacht. Mein Standort ist, obwohl direkt oberhalb des Stadtzentrums gelegen, wundersamer Weise sehr still, ein Campingplatz zur gelegentlichen Ver- und Entsorgung des Wohnmobils ist trotzdem nur zehn Minuten weit entfernt und durch die günstige Lage kann die Redakteurin immer wieder mal schnell vorbeischauen, Ratschläge und "Hausaufgaben" abliefern (und nebenher meine stets bereit stehenden Erdnüsschen niedermachen ...). Hin und wieder ist ein Gang in die üppig bestückten Bibliotheken der Stadt fällig und dann kommt das Fitnessprogramm zum Einsatz: Eine erkleckliche Menge an Höhenmetern will abwärts in lockeren Sprüngen über die berühmten "Stäffele" getrabt (auch das geht ordentlich in die Waden) und auf dem Rückweg, behängt mit schweren Büchertaschen (Bild- und Kunstbände im Großformat) wieder erklommen werden:

 

 

Versüßt werden die Stadtbegehungen durch das Wandern entlang der wohlvertrauten Sehenswürdigkeiten der Stuttgarter Innenstadt:

 

 

Altes und Neues Schloss, der Glaswürfel der neuen Kunsthalle, der Königsbau und der Kunstverein, der Schlossplatz und der anschließende Schlossgarten mit Oper und Theaterbau. Stolz präsentiert sich das Resultat schwäbischer Wohlhabenheit, geboren aus nicht minder schwäbischem Fleiß, Erfindergeist und all der anderen Tugenden, derer sich das "Ländle" zu rühmen weiß: "Mir kennet älles - außer Hochdeutsch" (Für preußische Fremdsprachler: Wir können alles....).

 

 

Zusätzlich steht natürlich "an jedem Eck" irgendwas Dekoratives, von modern bis archaisch, selbst die U-Bahn bekam in den Siebzigern seriellen Minimalismus verpasst (Mitte):

 

 

Wen in solcher Umgebung nicht die Muse küsst, der hat Mundgeruch an der Seele und Fußpilz auf den Augen. Dass vierzehnstündige Arbeitstage von mir mit Begeisterung absolviert werden, vermittelt sich vor diesem Hintergrund jedenfalls vielleicht auch dem nur mäßig geneigten Leser. Ab und zu muss dieser lauschige Wohn- und Arbeitsplatz jedoch verlassen werden, zum Beispiel wenn die Pflicht gen Bad Windsheim ruft. Ich brauche ungefähr zwei Tage, um die Strecke Stuttgart - Bad Windsheim zu bewältigen: Das vor- und nachmittägliche Arbeitspensum wird wie gewohnt absolviert, mal auf Rastplätzen, mitten in der Landschaft oder wo es sonst gerade passt. In den Arbeitspausen bewege ich dann das Wohnmobil ein wenig, oder koche mir etwas, oder schlafe oder ... Alles ist ja ergonomisch platziert dabei. Es mutet fast seltsam an, wenn bei stationären Aufenthalten doch einmal morgens nach dem Aufwachen das Szenario vor dem Fenster noch immer dasselbe wie am Vortag ist. In Bad Windsheim gibt´s einen "Wohnmobilhafen" (heißt wirklich so) neben dem neu erbauten "Thermal- und Wellness- Zentrum. Dessen weiträumige Hallen und Flure werden nun mit Motiven aus meiner "Montalban"-Serie ausgestattet. Teils "konventionell" gerahmt für das Labyrinth der  Wellnessabteilung, teils im Großformat auf meterlange Stoffbahnen gedruckt, die frei hängend über den Becken der großen Badehallen schweben sollen:

 

 

Nach einem kurzen Zwischenstopp im "Ries" bei dem ich das Wohnmobil wieder von Atelier- auf "Familienbetrieb" umbaue, nehme ich Elisabeth und Pia an Bord und wir machen uns auf den Weg in ein Nachbarland mit hohen Bergen, schönen Seen und ziemlich vielen Dialekt sprechenden Einwohnern. Elisabeth hat eine vakante Kantorenstelle entdeckt, die für das Profil ihrer Fähigkeiten und Ambitionen wie maßgeschneidert scheint. Und das an einem Ort, an den wir nun, wenn wir schon zurück "an Land" kommen, wirklich gerne ziehen würden. Also war in den letzten Wochen fleißiges Üben an der Orgel angesagt, da am Schiff ja "nur" ein elektronisches Klavier zur Verfügung stand. Jetzt genossen wir die gemeinsame Reise, für die wir uns zwei Tage Zeit nahmen.

 

 

Nach insgesamt acht Stunden Fahrtzeit waren wir da: mildes Klima, weitgestreckte Weingärten, ein schilfumstandener See (eines der schönsten Binnensegelreviere Europas), freundliche, kleine Ortschaften - Weltkulturerbe und Festspielstadt, nur eine knappe Autostunde entfernt von einer der schönsten Hauptstädte Europas.

 

 

Ein Kilometer hinter dem Ort hört Europa auf - zumindest im Winter. Im Sommer dürfen Radfahrer und Wanderer trotzdem den See komplett umrunden, auch wenn das Nachbarland dem "Schengener Abkommen" noch nicht beigetreten ist. Wir fahren auf den großen, um diese Zeit verlassenen Parkplatz der Seefestspiele über einen zwei Kilometer langen Damm auf eine Insel und fühlen uns sofort zu Hause: neben der imposanten Festspieltribüne erstreckt sich ein großes Areal mit gepflegten Stegen: Yachthafen und Yachtclub sind ebenfalls hier angesiedelt und da der Frühling naht, werden bereits die ersten Boote zu Wasser gebracht. Ausgiebige Fachsimpeleien sind unumgänglich. Am nächsten Morgen macht sich Elisabeth mit der örtlichen Orgel und der Gattin des Kirchenvorstandes bekannt. Am späten Nachmittag sind wir zu einer Weinprobe und einem ganz privaten Weinseminar geladen. Solchermaßen eingestimmt und beschwingt bezieht Elisabeth ein Pensionszimmer, das freundlicher Weise allen Kandidaten und -Innen zur Verfügung gestellt wird. Pia und ich verziehen uns am Abend wieder zum Yachthafen, an dem es um diese Jahreszeit so einsam ist, dass man wähnen könnte, hier sei nicht nur Europa, sondern die ganze Welt zu Ende. Ab und zu ein paar Laute der zahlreichen Wasservögel, sonst umgibt uns absolute Stille und später fast rabenschwarze Dunkelheit.

 

 

Elisabeth nutzt die beiden ersten Tage unseres Aufenthalts an der Orgel, ich arbeite im Wohnmobil und koche mittags und abends etwas Feines, nachdem ich Elisabeth von der Kirche oder Pension abgeholt habe und wir wieder "hinaus zur Insel" gefahren sind. Am nächsten Tag kommt die zweite eingeladene Kantorin an. Elisabeths "Konkurrentin", wie wir gesagt bekommen.

Da wir keine Wasservögel (s. Bild rechts) sind, können wir mit diesem Prädikat jedoch nicht so viel anfangen: die sympathische junge Kollegin erweist sich als ehemalige Sangesfreundin meiner Nichte in Norddeutschland (die Welt ist wirklich klein), wir befinden, dass in den folgenden Tagen Anforderungen in genügender Zahl harren und irgendwelche Eifersüchteleien daher nun wirklich völlig überflüssig sind: beide "Mädels" werden ihr Bestes geben und auf wen die Wahl dann fällt, ist in Anbetracht der Vielzahl der fachlichen und persönlichen Auswahlkriterien doch ohnehin eine Sache, der gegenüber das berühmte "Buch mit Sieben Siegeln" so klar verständlich wie ein Mickey-Maus- Heftchen wirkt.

Also vergehen die Tage in schönster Eintracht - und beträchtlichem Stress: Ich bekoche Elisabeth nicht nur, sondern versuche sie auch allgemein ein wenig zu unterstützen (zu Neudeutsch "coachen"), so gut ich das eben kann. War da ein falscher Ton beim Orgelspiel, stimmen die Tempi, war die Registrierung nicht nur gut auf das Stück, sondern auch auf die Akustik der Kirche abgestimmt, kam die Chorprobe gut an - und der Gemeindegesang? Dazwischen leichte Mahlzeiten im Wohnmobil, Spaziergänge zur Entspannung und "Manöverkritik". Nebenbei teilen wir mit der Mitbewerberin (der Ausdruck gefällt uns wesentlich besser..) Seelenstärkung und Espresso, welch letzteren ich schnell im Wohnmobil koche, weil das grade so praktisch vor der Kirche steht. Nachdem auf diese Weise weitere zwei Tage vergangen sind, werden wir herzlich verabschiedet und wissen nur, dass die Gestaltung unserer Zukunft noch weitere vier Wochen partiell von den Entscheidungen des achtköpfigen Kirchenkuratoriums abhängt: dann werden nämlich nach Plan noch ein paar Kandidaten geprüft.... Ich hab ja "gut zu tun" mit der Erarbeitung meines Buches - Elisabeth wiederum wird sich noch eine Zeit bei ihrer Muddi (und natürlich Vaddi) einquartieren, Orgel und Klavier spielen, an ihren Kompositionen mit Synthesizer und Computer feilen .... und das zarte Pflänzchen der Hoffnung auf "ihre" neue Stelle hegen. Wendet danach die Unity den Bug von Korfu aus nach Norden oder Westen? Das liegt nun bis Ende April in den Händen einiger Damen und Herren, deren Entscheidung wir versuchen mit der Gelassenheit eines buddhistischen ZEN-Mönchs entgegenzusehen - auch wenn ja eigentlich alles durch und durch protestantisch ist...