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Aigina, 21. September 2004

 

Eigentlich wollten wir heute Aigina endgültig verlassen. Um 6:00 Uhr waren wir aus den Federn und begannen noch "im Halbschlaf", mit den Ritualen, die einem Auslaufen vorausgehen: Verstauen, Leinen klarieren, Karten herrichten, dies und das überprüfen. Schon gestern Abend hatten wir starken Taufall registriert und heute Morgen war das Deck noch immer nass. Am Himmel trieben schwere dunkle Wolken und es war schwülwarm. Kurzer Blick ins Internet-Wetter: Windvorhersage ist allgemein zurückgenommen, aber: Schauer und Gewitterneigung. Kurze Beratschlagung, dann die Entscheidung für einen weiteren Tag Aigina. Es könnte uns Schlimmeres widerfahren. Zum Beispiel ein Gewitter mitten auf dem Meer. Und der anstehende Schlag wird mit ca. 10 Stunden relativ lang: 

Wir haben uns nach kurzer Unschlüssigkeit doch für den Abstecher zu den Kykladen entschieden. Seglerfreunde waren vor einigen Tagen ebenfalls in die Kykladen aufgebrochen, was uns überraschte, da klar war, dass noch einmal Starkwind fällig war. Prompt bekamen sie diesen dann auch "auf die Backe" und flohen mit einem langen Schlag zurück nach Westen zur Insel Poros, anscheinend für´s erste vom Faible für die Inseltour geheilt. Wir überlegten daraufhin, ob wir nicht auch lieber die "gemütliche" Route entlang des Pelepones nehmen sollten. Aber auf diesem Weg sind wir ja im Frühjahr bereits von Süden gekommen. Und für eine Reise durch die Kykladen werden September und Oktober ausdrücklich empfohlen, da hier eine relativ ruhige Wetterlage zwischen der Meltemi-Saison und den winterlichen Stürmen eintritt. Im Vertrauen darauf, dass wir täglich verlässliche Wetterprognosen aus dem Internet holen können, wollen wir es also doch noch versuchen. Und wenn wir mal für ein paar Tage "eingeweht" sind, warten wir eben, bis wir gefahrlos weiterreisen können. Wir haben ja keine zeitlichen Vorgaben, außer dass wir gegen Ende Oktober in Kalamata sein wollen. Aber ob das dann eine Woche früher oder später ist, spielt eigentlich keine große Rolle. Morgen soll nun ein wirklich ruhiger Tag sein, also stehen wir eben noch einmal in aller Frühe auf und machen uns dann auf den Weg. Zwischen den Inseln werden die einzelnen Strecken dann nicht mehr so lang, wenn wir unsere Route geschickt wählen. Nur die Fahrt zurück zum südlichen Pelepones beschert uns noch einmal eine Strecke, bei der es nicht reicht, früh aufzustehen. Da müssen wir wohl nach einem Mittagsschläfchen am Nachmittag lossegeln, um sicher zu sein, dass wir am nächsten Tag bei Tageslicht in den nächsten Hafen (Monemvasia) kommen. Von dort aus sind dann noch die zwei Kaps im Süden zu meistern.

Den Sonntag habe ich in einer Weise verbracht, die meine Mutter, Gott hab sie selig, sicher als zutiefst tadelnswert empfunden hätte - ich habe, anstatt den "Tag des Herrn" andächtig zu heiligen, mächtig "geschuftet": Die letzten Wochen habe ich mich ständig darüber geärgert, dass nach Ausfall der ursprünglichen Lichtmaschine mit der ersatzweise eingebauten konventionellen Maschine kaum eine Ladung unserer Batterien stattfand. Sobald 13 Volt anstanden, regelte das dumme Teil ab und lieferte nur noch den aktuellen Verbrauch. Inzwischen ließ ich die andere Lichtmaschine durchsehen und nun begab ich mich eben, nachdem ich diese Arbeit eine Weile vor mir her geschoben hatte, seufzend in die Katakomben des Maschinenraums, um die Lichtmaschinen wieder auszutauschen. Die überholte Lichtmaschine hatte auch einen neuen Regler erhalten. Also lief der erste Versuch nach dem Austausch mit diesem Regler - es könnten ja Zeichen und Wunder geschehen. Geschahen aber nicht: Noch solch ein dummes Standartteil. Also raus damit und ein erneuter Versuch mit dem Sterling-Hochleistungsregler, der uns im Frühsommer im Stich gelassen hatte. Hurra - Erfolg ward uns beschieden: Volle Ladung. Nur das Indikatorlicht am Schaltpanel brannte eigensinnig, um anzuzeigen, dass da keine Ladung stattfinde. Ich beließ es erst einmal dabei. Lieber volle Ladung mit Indikatorlicht als umgekehrt. Gestern versenkte ich mich noch einmal in den Motorraum, meditierte eine Zigarettenlänge vor der Lichtmaschine, verlegte ein Kabel an einen anderen Anschluss und jetzt funktioniert alles zufriedenstellend. Das wird den Einsatz unseres externen Stromgenerators drastisch reduzieren.

Abends dann wieder das übliche Aigina-Spielchen: Riesige Motorschüssel läuft ein, Hafen ist voll, Motoryacht versucht in eine viel zu enge Lücke zu drücken, indem sie alles rechts und links beiseite quetscht. Auch unser Boot wäre empfindlich betroffen gewesen. Also machten wir zur Dokumentation ein paar Fotos (mittlerweile Routine). Inzwischen hat sich eine beträchtliche Menschenmenge am Pier versammelt, um dem traurigen Schauspiel zuzuschauen. Also starte ich nun etwas, das ich in meinem Leben noch nie gemacht habe, aber hier sehr schnell lernte: Ich mache Kapitän, Besatzung und Eigner lautstark auf übelste Weise "zur Sau" unter beifälligem Gemurmel der Umstehenden. Dank einem griechischen Segler weiß ich ja inzwischen die wichtigsten Formeln dafür: 

Griechische Männer sind, wie alle Südländer, zutiefst davon überzeugt, Gottes ganz persönliches Geschenk an die Menschheit zu sein. Wenn ihnen nun jemand klarmacht, dass sie "eine Schande für die menschliche Rasse" darstellten, gerät ihr Selbstbild ganz gewaltig ins Wanken. Nicht der Vorwurf mangelnder Seemannschaft, nicht der Hinweis auf anstehende Beschädigungen hilft, die Drohung, die Hafenbehörden zu alarmieren, stößt nur auf gelangweiltes Grinsen - die Port Authority beseelt, wie alle Griechen, eine religiöse Ehrfurcht vor exhibitionistisch zur Schau gestelltem Reichtum. Aber der Frontalangriff auf´s Machismo "zieht". Unmittelbar - die Yacht gab unter allgemeinen Erleichterungs- und Beifallsbekundungen auf und verließ den Hafen wieder. Einer der direkt Attackierten war ein Franzose, bei dem ich mich dann doch darüber wunderte, dass von seiner Seite keine Gegenwehr gegen das Gedrängel ersichtlich war angesichts unmittelbar bevorstehenden Beschädigungen an seinem Boot. Also hängte ich ihm spätabends noch einen Zettel ans Rollfock, mit der Frage, ob es nicht zufällig das französische Volk gewesen sei, das mal eine Revolution gegen die Willkür des dekadenten Adels angezettelt habe? Am nächsten Vormittag saßen wir daraufhin lachend bei einem Ouzo auf unserer Heckterrasse. Jean-Michele ist ein sympathischer Knabe, als Astrophysiker an der Entwicklung des europäischen Navigationssystems "Galileo" beteiligt und in dieser Funktion auch ab und zu in Oberpfaffenhofen zu Gast, weshalb er sogar etwas Deutsch spricht. Seine mangelnde "Gegenwehr" begründete er damit, dass er einfach "total überrumpelt" von dem "Erpressungsversuch" des Motorkübels gewesen sei (man sieht´s recht gut auf dem Bild unten links). Waren wir die ersten Male auch - jetzt nicht mehr....

Ab und zu bekommen wir Mails mit Elegien, wie sehr man uns doch um unser derzeitiges Leben beneide. Wir vermuten wohl nicht ganz zu Unrecht, dass da teilweise recht romantische Vorstellungen im Spiel sind, die das jeweilige Bild etwas verklären. Ein wenig ergeht es mir dann wie den Chinesen, die, sobald jemand das Ungeschick begeht, etwas zu sehr zu loben oder zu bewundern, reflexartig beginnen, genau das Ding oder den Sachverhalt vorsorglich schlecht zu machen, um den Zorn der Götter nicht zu provozieren. Aus einer ähnlichen Laune heraus entstand letzthin die satirische Antwort auf das Mail eines Freundes. Auszugsweise sei es hier zitiert, auch wenn ich nicht weiß, ob jeder mit meiner Art bissigen Humors etwas anzufangen weiß:
Schön, ein Daten-Epistelchen von Dir zu erhalten. Wir sind stets entzückt, wenn wir für einen Menschen, mit dem uns irgend eine Herzlichkeit verbindet, noch nicht über den Acharon der Vergessenheit abgetriftet sind. Viele sind´s nicht und je näher sie uns einst auf den Zehen standen, um so absenter sind sie jetzt.... eine traurige Liste freiwillig gewählter alzheimerscher Selbstverstümmelung. Interessant immerhin, wie schnell man, auf so viel Flüssigkeit schwimmend wie wir, für andere offensichtlich über-flüssig wird. Vielleicht werden wir als vaterlandslose Deserteure der deutschen Trostlosigkeit angesehen, als Harz IV-Emigranten, Schröder-Verächter, Merkel-Lästerer, Westerwelle-Verlacher, Stoiber-Begräber erkannt, haltlose Ignorierer der "German Angst", Fahnenflüchtige mitteleuropäischen Weltschmerzes, verdächtigt als Gartenzwergverleugner und Schweinebauchverweigerer. Mäßig behauste Boat-People auf dem schwühl-versalzenen Urlaubsteich der Europäer, umhergewehtes Treibgut, ausgespieen aus dem Rachen rechtschaffenen Deutschländertums. Ohne Bausparvertrag, Urlaubsgeld und Wochenendzulage hoffnungslos aller waschbetonierten Bürgerlichkeit entglitten. Verlorene Würstchen, denen es nicht bis zum schwäbischen Saitling, noch weniger zur Weißwurst gereicht.

Also leben wir eben unter bräsig-rustikalen Tavernawirten und gedopten Ziegenhirten in ihrem sonn- und hirnverbrannten Chaos, vermeiden, von ihrer stupiden Nahrung fett und von ihrem wässrig-süßen Wein sodbrandig zu werden, beobachten, wie sie ihre Hunde verholocaustieren und ihre Katzen plattfahren, ihre Bälger zu verzogenen Ungeheuern mästen und sich ihre Billigzigaretten mit den Scheinen nachgeworfener EU-Milliarden anzünden. Wir schwitzen schneller, wie wir Wasser aus Magnumflaschen in unseren ausgedörrten Hals schütten können. Derweilen rennen allerorten giftig verdorrte Weiblein wie schwarz zerzauste Krähen zu einer Legion bartbezottelter, omnipräsenter Popen in so viele schreibunt ausgepinselte ByzantinerKirchen, dass man deren Masse nur noch als Versuch beargwöhnen kann, eine hoffnungsverlorene Gottverlassenheit düster zu bemänteln. 

In den Güllegruben der Anrainer, die beiläufig auch als Häfen genutzt werden, liegt unser brav-bescheidenes Finnenboot zwischen krakelenden Italienern, düsteren Spaniern, arroganten Holländern, besoffenen Belgiern, skurilen Engländern und rechthaberischen deutschen Blockwarten; ab und zu haben EU-Subventionen und Mafia-Gelder dem einen oder anderen Ureinwohner zur 80 Millionen schweren, Cayman registierten Megaschüssel verholfen, und mit vielen tausend Pferdestärken schiebt er dann all dieses lästige Barbarengeschmeiß kurzerhand von SEINEM Platz am öffentlichen Kai. Es reicht, wenn diese Deppen den Bau des Kais finanziert haben. Jetzt, zum Zeus, sollen sie verdammt noch mal wieder in ihre kalten Rattenlöcher im Norden verschwinden, Geld hat das armselige Pack ohnehin immer weniger, da kann man eigentlich in nächster Zeit wieder aus der EU austreten - abkassiert ist das Meiste und mental liegt einem ja der südliche Teil des Mittelmeers ohnehin wesentlich näher als diese blutleeren Engerlinge in ihren lächerlichen Bermudashorts, die den ganzen Sommer in Gummilatschen die Straßen so verstopfen, dass man den Kompressor-Daimler in Ortsdurchfahrten fast auf einhundertzwanzig Stundenkilometer herunterbremsen muß.

Emphatisch entrückte deutsche Studienräte haben diesen Landstrich mit der hässlichsten Hauptstadt der Welt, den kahlsten Inseln des Mittelmeers und den miesesten Umgangsformen Europas zur einstigen Brutstätte abendländischen Geistes verklärt, und da schließt sich nun der Rundumschlag zum Circulus Vitiosus: der abendländische Geist greißte und gebar einen Harz, der den verwaisten Zöglingen der weißbesockten, reformsandalettierten Pauker nun im Halse stecken bleibt. 

Wanderer, willst du nach Griechenland - sei weise, kehr um und lenke deinen Weg lieber nach Baiersbronn zum Wassertreten.

In diesem Sinne grüßt für heute die sich wegen nagasaki-mäßigem UV-Bombardement nur noch im Zustande apathischen Lallens befindliche Crew des Fischkudders Unity